Kein Camping mehr in Gießen

Der Campingplatz in Gießen wird Ende des nächsten Jahres geschlossen. Das Areal soll künftig für Sport- und Freizeitaktivitäten genutzt werden.
Gießen - Das blaue Rolltor ist per Eisenkette verriegelt. Kein Zelt, kein Wohnwagen ist dahinter zu sehen. Der Campingplatz in Kleinlinden befindet sich tief in der Winterpause. Wenn der kleine Platz mit seinen knapp 50 Stellflächen für Wohnmobile, Wohnwagen und Zelte im April wieder öffnet, wird es das letze Mal sein, dass der Betrieb dort aufgenommen wird. Denn am Ende der Saison 2023 ist Schluss - der Campingplatz wird nach rund 65 Jahren geschlossen.
Ein touristisches Aushängeschild für Gießen war der Platz, der direkt an der Bahnstrecke nach Wetzlar liegt, seit längerem nicht mehr. Die sanitären Anlagen sind stark in die Jahre gekommen. Die Auslastung des Campingplatzes, ist ziemlich gering. Selbst im Hochsommer ist die 4500 Quadratmeter große Anlage, deren größtes Plus das benachbarte Freibad ist - das von den Campinggästen kostenlos mitbenutzt werden darf - höchstens zur Hälfte belegt. Wer Erholung sucht, den zieht es kaum nach Kleinlinden, sondern eher an die schöner gelegenen Campingplätze am Dutenhofener See, am Wißmarer See oder in Lollar-Ruttershausen direkt an der Lahn - alle drei nur knapp zehn Kilometer von der Gießener Innenstadt entfernt.
Gießen: Auslastung des Campingplatzes in den letzten Jahren schlecht
Der Platz im Stadtteil Kleinlinden wird dagegen häufig von Sinti und Roma sowie von mobilen ausländischen Wanderarbeitern genutzt, die rund um Gießen handwerkliche Dienstleistungen wie Pflaster- und Fassadenreinigung anbieten. »Auch Studierende, die auf Wohnungssuche sind, oder Menschen, deren Angehörige mehrere Tage in einem der Gießener Krankenhäuser behandelt werden, übernachten hier. Oder Tierbesitzer, deren Tiere in der nahe gelegenen Uni-Tierklinik stationär behandelt werden«, sagt Branislav Bakic. Der 71-Jährige ist seit 13 Jahren Pächter des Platzes. Im Sommer lebt er rund um die Uhr auf der Anlage. Jetzt, in der Winterpause, besucht er unter anderem Verwandte in Serbien.
»Ich bedaure die Schließung sehr«, sagt Bakic. Die Auslastung des Platzes sei tatsächlich in den letzten Jahren schlecht gewesen, räumt er ein. Dass es ab und zu auch mal Ärger mit Campern wie kleinere Schlägereien gegeben habe, komme auch auf anderen Zeltplätzen vor. »Ich habe manchen Gästen sogar den Zutritt verweigert, wenn ich das Gefühl hatte, dass es mit ihnen Ärger geben könnte«, sagt Bakic.
Gießen: Freibad wird um Spielplatz erweitert
In Internet-Bewertungen wird der langjährige Pächter als »sehr freundlich«, »herzlich« und »hilfsbereit« gelobt. Dagegen beschreiben Nutzer die sanitären Anlagen als »sehr vernachlässigt« und »schlecht«. Auch, dass der Campingplatz keine Schattenflächen habe und dort selbst nachts viele Güterzüge laut vorbeirauschen, wird in den Bewertungen moniert.
Nun also hat die Stadt entschieden, den Pachtvertrag nicht mehr zu verlängern und den Campingplatz spätestens Ende 2023 zu schließen.
»Es bestand schon sehr lange der Wunsch - auch vom Ortsbeirat Kleinlinden und den umliegenden Vereinen - die Fläche des Campingplatzes anderen Sport- und Freizeitnutzungen zuzuführen«, sagt Stadtsprecherin Claudia Boje. Planungen, an einer anderen Stelle in Gießen einen Campingplatz einzurichten, gebe es nicht - dafür seien im Stadtgebiet schlichtweg keine geeigneten Flächen vorhanden. »Wir wollen den Fokus stärker auf innenstadtnahe Stellplätze für Wohnmobile legen«, teilt Boje mit. Wie und wo dies konkret passieren soll, dazu machte die Stadtsprecherin noch keine Angaben. Denkbar ist aber, dass der Wohnmobil-Stellplatz am Hallen- und Freibad an der Ringallee, der modernen Anforderungen kaum noch genügt, deutlich aufgewertet wird.
Gießen: »Runder Tisch« zur künftigen Nutzung des Campingplatz-Areals
Die künftige Nutzung des Campingplatz-Areals in Kleinlinden soll laut Boje im Rahmen einer Sportentwicklungsplanung untersucht werden. Dazu soll im kommenden Jahr ein »Runder Tisch« einberufen werden, an dem neben mehreren Vereinen (darunter der Mehrspartenverein TSV Kleinlinden mit über 1400 Mitgliedern) auch Vertreter des Ortsbeirates teilnehmen.
Klar ist laut Boje aber jetzt schon, dass die Stadtwerke Gießen die Fläche für das Freibad Kleinlinden um rund 600 Quadratmeter vergrößern und dort einen Kleinkind-Spielplatz einrichten wollen.
Laut Kleinlindens Ortsvorsteher Dr. Klaus-Dieter Greilich ist mit der Schließung des Campingplatzes, die letztlich einvernehmlich mit dem Pächter erfolgt sei, »eine gute Lösung« gefunden worden. Es gebe in Kleinlinden den Bedarf nach einer Erweiterung des Freibades und des Sportgeländes an der Pfingstweide. Der Ortsbeirat werde an den Plänen zur zukünftigen Nutzung beteiligt. Zudem gebe es in der Nachbarschaft Gießens deutlich attraktivere Campingplätze als in Kleinlinden, sagt Greilich.
Auch Branislav Bakic hat sich inzwischen mit der baldigen Schließung abgefunden, auch wenn man im Gespräch mit ihm spürt, dass sein Herz noch stark am Campingplatz hängt. »Ich bin froh und sehr dankbar, dass ich hier seit zahlreichen Jahren eine schöne Beschäftigung und viele gute Kontakte zu Campinggästen habe. Ich fühle mich trotz meiner 71 Jahre noch nicht alt und werde mir nach Ende des Pachtverhältnisses vielleicht eine Stelle als Hausmeister suchen«, sagt Bakic. (Jens Riedel)