Kath. Krankenhaus muss Schmerzensgeld zahlen

Mit einer Niederlage für die Geschäftsleitung des St.-Josefs-Krankenhauses endet ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Gießen. Ein Oberarzt erhält Schmerzensgeld und wird rehabilitiert.
Gießen - Lang, sogar sehr lang ist die Liste der Sanktionen, die die Geschäftsführung des Katholischen Krankenhauses Balserische Stiftung in Gießen gegen einen Leitenden Oberarzt verhängt hatte. Der Arzt durfte keine minderjährigen Patienten mehr behandeln. Er musste erwachsenen Patienten stets im Beisein eines anderen Arztes gegenübertreten. Ihm wurde binnen eines Jahres Gehalt in Höhe von über 40 000 Euro gestrichen. Er durfte keine Dienstpläne mehr für seine Abteilung erstellen. Er musste ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen - und er wurde abgemahnt. Seit gestern ist klar: Die gegen den Oberarzt verhängten Sanktionen sind allesamt rechtswidrig und müssen zurückgenommen werden. Zudem muss das Katholische Krankenhaus dem Arzt, der seit über 15 Jahren dort beschäftigt ist, 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen und ihm das entzogene Gehalt inklusive fünf Prozent Zinsen nachzahlen. Dies hat das Arbeitsgericht Gießen am Donnerstag entschieden. Damit bestätigte das Gericht die Sichtweise des Arztes, der sich durch die Krankenhausleitung systematisch diskreditiert, verleumdet, schikaniert und gemobbt sah und sich gegen die Sanktionen gerichtlich zur Wehr gesetzt hatte.
Beleidigung nicht bestätigt
Was war passiert? Der Oberarzt soll im Dezember 2020 eine 15-jährige Patientin, die wegen starker Unterleibsblutungen notoperiert werden musste, vor der Operation sexuell beleidigt haben. Er soll sinngemäß die Worte »Na, wohl zu stark gefickt« zu dem Mädchen gesagt haben. Dieser Vorwurf wird in einer E-Mail geäußert, die die Eltern der jungen Patientin nach der gut verlaufenen Operation der Krankenhausleitung zugestellt hatten. Die strittigen Worte sollen gefallen sein, als der Oberarzt und ein Anästhesiepfleger das Mädchen in Gegenwart einer Assistenzärztin und einer Stationsschwester vor dem Operationssaal empfangen haben. Die Krankenhausführung hatte daraufhin die zahlreichen Sanktionen gegen den Arzt verhängt, obwohl der beschuldigte Arzt die Äußerung stets bestritten hatte.
Richter Michael Schneider machte in seiner Urteilsbegründung deutlich, dass der Wortlaut dieser strittigen Äußerung - auch in ähnlicher Form - nicht von Zeugen bestätigt werden konnte. Zudem sei das Mädchen auch nicht restlos sicher, wie der genaue Wortlaut gewesen war. »Die Vorwürfe in dem Abmahnungsschreiben sind weder durch Zeugenaussagen noch durch die Protokolle der Mitarbeiterbefragungen bestätigt worden«, sagte der Richter. Da der Gegenstand der Abmahnung somit nicht bewiesen sei, dürfe der Arbeitgeber keine so weitreichenden Sanktionen gegen den Arzt aussprechen, die ihm große Teile seiner Berufstätigkeit verbieten und einen tiefen Einschnitt in sein Arbeitsleben bedeuten. Die Abmahnung und die Strafen seien ebenso rechtswidrig wie das Einbehalten von Gehalt, erklärte Schneider. Der Richter gab der Krankenhausleitung zu verstehen, dass die von ihr durchgeführte Befragung der Mitarbeiter und die dabei entstandenen Protokolle zudem formell »fragwürdig« seien. Unter anderem seien die Protokolle von den Mitarbeitern nicht unterschrieben worden. Zudem sei der Vorfall nicht, wie es die Richtlinien vorsähen, von einem »unabhängigen Beratungsgremium« untersucht worden.
Richter rügt Krankenhausleitung
Der Richter rügte zudem, dass die Krankenhausleitung dem Mädchen und seinen Eltern schriftlich bestätigt hatte, dass »der Vorfall genau so gewesen« und die »widerwärtigen Worte genau so gefallen« seien. »Dieses Schuldeingeständnis gegenüber der Familie ist von der Diktion her nicht sachgerecht gewesen gegenüber dem Kläger, da die Untersuchungen die Beleidigung nicht bestätigt haben«, sagte Schneider. Der Richter urteilte deshalb, dass die Krankenhausleitung dieses Schreiben an die Eltern ebenfalls widerrufen muss. Zudem sprach der Richter dem Oberarzt, der sich durch dieses Schreiben der Krankenhausleitung an die Eltern zusätzlich verleumdet und in seinem Ruf geschädigt sieht, ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000 Euro zu.
Was die Krankenhausleitung dazu bewogen hat, gegen den Oberarzt trotz unklarer Beweislage so scharfe Sanktionen auszusprechen, blieb vor Gericht weitgehend unklar. Die Krankenhausführung argumentierte lediglich, ein katholisches Krankenhaus müsse aufgrund der sexuellen Gewalt, die Menschen in der Vergangenheit in vielen katholischen Einrichtungen erleiden mussten, nun besonders konsequent gegen jegliche Arten von sexuellen Beleidigungen oder Übergriffen vorgehen. Der Arzt dagegen sieht sich als Opfer einer Verleumdungskampagne, weil die Krankenhausleitung ihn als Mitarbeiter loswerden wolle. Hintergrund dafür könnte möglicherweise eine außertarifliche Gehaltszulage für den Oberarzt in Höhe von über 3000 Euro pro Monat sein, die dieser vor einigen Jahren für sich erwirkte. Gegen das Urteil ist Berufung möglich. (red)