Kann Kunst heilen?

Seit fünf Jahren gibt es die Familienpsychosomatik am UKG-Zentrum für Kinderheilkunde und Jugend- medizin. Daran erinnert nun eine Ausstellung mit Körper-Fühl-Bildern von rund 35 Kindern.
Bei dieser Ausstellungseröffnung lag ein allgemeines Strahlen auf den Gesichtern. Eingeladen hatte Prof. Burkhard Brosig vom Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Gießen (UKG). Er leitet seit fünf Jahren den Bereich Familien- und Kinderpsychosomatik, der mit eigener Station Seltenheitswert in der deutschen Kliniklandschaft halt, wie er im Gespräch erzählt.
Kunsttherapie Teil der Behandlung
Als er 2008 in der Psychosomatik des UKG begann, betreute er einzelne Kinder und Jugendliche auf Station Köppe der Kinderklinik, die chronisch krank waren. Allmählich wurde deren Not und die Notwendigkeit einer Behandlung auch der Klinikleitung deutlich und man richtete eine eigene Station mit elf Betten ein. Fast von Beginn an war Kunsttherapeutin Christine Schophoff dabei, die sich bei der Ausstellungseröffnung für die große Unterstützung durch Prof. Brosig bedankte. Es sei längst nicht selbstverständlich, dass Kunsttherapie als wichtiger Baustein der Behandlung anerkannt werde. Der KroKi-Verein leistete finanzielle Unterstützung bei der Beschaffung von Malutensilien.
Zum fünfjährigen Bestehen der Familien- und Kinderpsychosomatik überlegten die Beteiligten, wie man ihre Arbeit sichtbar machen könnte, abseits von Statistiken und Zahlen. Die Idee einer Ausstellung mit einer Auswahl aus den Bildern war naheliegend. Kunstbeauftragte Dr. Susanne Ließegang empfahl das Haupthaus des UKG, wo mehr Publikumsverkehr ist. Auf der dritten Ebene befindet sich das Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, im darauf zuführenden Flur hängen nun die Bilder.
Zur Eröffnung begrüßte Prof. Christian Jux als Vertreter der Zentrumsleitung. Er zeigte sich höchst beeindruckt von den Werken und stellte die Frage: »Kann Kunst heilen?« Dr. Ließegang modifizierte: »Was stößt die Beschäftigung mit Kunst in uns an, das dem Prozess der Heilung förderlich ist?« Eine Fragestellung, die sie als Kunstbeauftragte seit Jahren umtreibt und warum sie Kunst im Klinikum als so wichtig erachtet.
Prof. Brosig ging in seinem Kurzvortrag noch einen Schritt weiter. Er berief sich auf seinen Kollegen Dori Laub, der als ukrainischer Jude in die USA ausgewandert war und Holocaust-Überlebende betreut hatte. Er stellte schon 1995 die These auf, dass es hauptsächlich Kunst sei, die Traumata überwinden und heilen könne.
Anonymisierte Zeichnungen
Zu sehen sind anonymisierte Arbeiten von etwa 35 Kids. Im vorderen Flur hängen die kleineren in Zeichenblockgröße, darauf sind zwei Themenblöcke erkennbar: Wie sehe ich mich selbst, also Selbstportraits, und wie stelle ich mich über Kleidung nach außen dar. Die Zeichnungen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema, darunter auch gewitzte Arbeiten wie eine Engel-Teufel-Darstellung zum Umgang mit der eigenen Krankheit. Geradezu überwältigend sind die großformatigen, lebensgroßen Darstellungen des eigenen Körpers. Sie ähneln Körper-Fühl-Bildern, wie sie auch große Künstler schufen.
Einige sind mit zarter Lineatur, andere mit kräftigen Farben ausgeführt. Manche haben Worte dazu geschrieben, etwa »Hope« und »Hate«, andere fokussieren sich auf die Aussagekraft der Klarfarben: ein roter Punkt an der Stelle des Herzens und blaue Füllungen an den Füßen. Da gibt es Gewitterzeichen im Gehirn, die direkt auf den Bauch wirken, oder der gesamte Bauch ist eine Dunkelzone und nichts drumherum wird wahrgenommen. Eine nachdenklich stimmende Ausstellung, die Betroffenen wie Fachkräften diverser Disziplinen Anlass zu Gesprächen geben könnte.
Die Ausstellung ist bis April zu sehen, Zugang zum Klinikum mit Negativ-Test und FFP2-Maske.