Tonnenweise Müll in Gießen „leider Normalität“

Alle Frühjahre wieder und dann noch Corona: Die Vermüllung von Stadt und Natur ist nicht nur optisch eine Plage, die viele Facetten hat. Von Partyscherben über Verpackungsmüll bis zu Hausratablagerungen in Wald und Flur. Aber es gibt Hoffnung - und den Willen der Stadt, der Plage Herr zu werden.
Gießen - Hohe Gäste aus Berlin und Wiesbaden, und dann das: Hinter der »Radstätte« an der Lahn, die im Juli feierlich eingeweiht wurde, stapelte sich rund um einen Mülleimer Verpackungsabfall mit ekligen Speiseresten. In diesem Moment peinlich für Gießen, aber leider auch Normalität in der Stadt.
Das Problem: Augenscheinlich nimmt die Vermüllung saisonal seit einigen Jahren zu. Vor allem an den ersten warmen Frühlingswochenenden haben das Gartenamt und die Stadtreinigung alle Hände voll zu tun, um die Grünanlagen an der Lahn und den Stadtpark Wieseckaue von Abfall und den Hinterlassenschaften von Grillfeiern zu befreien. Die Abfallmenge, die dort eingesammelt wird, wird zwar nicht speziell erfasst, aber beide Ämter gehen laut Stadtsprecherin Claudia Boje »fest von einem Mehr an Menge aus. Der Müll an öffentlichen Plätzen nimmt zu«. Das Gartenamt, das an Wochenenden sogar extra externe Firmen mit der Reinigung der Parks beauftragt habe, habe in den Sommern vor Corona die Menge auf etwa 100 Tonnen Müll geschätzt, die pro Jahr in den Grünanlagen eingesammelt werden.
Mit der Corona-Pandemie und den Lockdowns in der Gastronomie sei Verpackungsabfall aus dem »To-go-Verkauf« der Gaststätten hinzugekommen, den die Leute häufig draußen konsumiert hätten. »Leider haben auch viele ihren Einweg-abfall liegengelassen«, berichtet Boje und verweist außerdem auf die Häufung von Scherbenansammlungen nach Freiluft-Partys.
Eindämmung der Vermüllung in Gießen: Stadt ist vorsichtig optimistisch
In der ersten Pandemie-Phase lagen außerdem die sogenannten Bürgersteig-Geschenke im Form von ausrangierten Büchern, DVDs oder Geschirr im Trend. Das wird von der Stadtreinigung ebenso wenig gerne gesehen wie die Gabenzäune, an denen Beutel mit Lebensmitteln für Obdachlose hingen. Die Unterstützung war zwar gut gemeint, zog aber die Ratten an.
Sichtbar wird die Plage auch im Mängelmelder der Stadt. Die Kategorie Müllansammlung und Scherben verzeichnet neben Schäden an Verkehrsanlagen die meisten Meldungen.
Gegenmaßnahmen : Das Feld der Gegenmaßnahmen ist weit und reicht von der EU-Gesetzgebung, wenn Plastikbeutel oder Einwegverpackungen aus dem Verkehr gezogen werden, bis zu lokalen Kampagnen oder der einfachen Erhöhung der Mülleimer-Kapazitäten im Frühjahr und Sommer. Bei der Stadt ist man vorsichtig optimistisch, dass sich die Situation verbessert. Der Einsatz der Mülls-Scouts und auch die ehrenamtlichen Clean-up-Walks, in Verbindung mit der Presseberichterstattung, hätten Wirkung hinterlassen. »Das Bewusstsein, dass der Zustand von Grünanlagen auch einer ist, der vom Verhalten des Einzelnen abhängig ist, könnte geweckt worden sein«, sagt Boje. Die Stadt werde in diesem Jahr jedenfalls am Ball bleiben. Dies auch aus der Überzeugung, dass ungezwungene Treffen im Stadtpark oder am Lahnufer, das Chillen im öffentlichen Raum, auch nach Corona bleiben werden. »Und damit dürfte auch der vernünftige Umgang mit den eigenen Abfall ein wichtiges Anliegen bleiben«, sagt Boje. Zudem schaut man nicht nur in Gießen nach Tübingen, wo seit dem ersten 1. Januar eine kommunale Steuer auf Einwegverpackungen erhoben wird, gegen die freilich Klagen anhängig sind.
Gegen Müll in Gießen: Tübingen als Vorbild für Steuer?
Eine solche Steuer auf Einwegverpackungen in der Gastronomie hatte es in Gießen und rund 50 anderen deutschen Städten in den 1990er Jahren gegeben, ehe das Bundesverfassungsgericht die Steuer für rechtswidrig erklärte. Die rechtlichen Voraussetzungen indes haben sich geändert. Umweltdezernentin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) hatte 2020 angekündigt, die Wiedereinführung der Steuer in Gießen zu prüfen, falls die Tübinger Satzung von den Gerichten bestätigt wird. Die mittlerweile regierende grün-rot-rote Stadtkoalition hat die Wiedereinführung der Verpackungssteuer aber nicht in ihr Bündnispapier aufgenommen.
Kaum ein Kraut scheint gegen die Unsitte gewachsen, Hausrat und Baustellenabfall in Wald und Flur - auf Kosten der Allgemeinheit - zu entsorgen. Obwohl Stadt und Polizei zuletzt einige Ermittlungserfolge gelangen und die Stadt gebetsmühlenhaft auf die Möglichkeit der legalen Sperrmüllentsorgung aufmerksam macht, gibt es immer wieder derart empörende Taten.
Prognose : Einwegabfall wird in den nächsten Jahren weitgehend aus dem Gießener Stadtbild verschwinden. Nicht so optimistisch fällt die Prognose beim illegal entsorgten Sperrmüll aus. (mö)
„Die 7 Stadtplagen“
Dieser Artikel ist Teil einer Miniserien, in der wir uns mit den „7 Stadtplagen“ beschäftigen – also sieben größeren und kleineren Problemen, die Gießen beinah dauerhaft beschäftigen. In vorherigen Teilen ging es um Fahrradfahrer ohne Licht, laute Autoposer, die großen Ratten- und Taubenpopulationen, Vandalismus und liegengelassenen Hundekot.