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Irgendwo im wüsten Nirgendwo

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Von: Marion Schwarzmann

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Autor Steffen Mensching und LZG-Moderatorin Sabine Heymann. © Marion Schwarzmann

Gießen (man). Das Literarische Zentrum Gießen (LZG) ist immer für eine Überraschung gut. Der Abend mit Steffen Mensching und dessen Roman »Hausers Ausflug« im KiZ entpuppte sich als äußerst anregend und kurzweilig - obwohl der Roman keineswegs lustig ist, sondern für die Titelfigur zum Albtraum wird.

LZG-Moderatorin Sabine Heymann hat sich im Internet über Mensching informiert. Doch nicht alles, was bei Wikipedia steht, entspricht der Wahrheit, und so muss Steffen Mensching öfter mal eingreifen, als es um seine Biografie geht. 1958 in Ost-Berlin geboren, hat der quirlige Mann anfangs musikalisches Kabarett mit »Karls Enkel« gemacht und tourte dann mit Hans-Eckardt Wenzel in anarchischen Clownsprogrammen durch die Republik. »Neues aus der Da Da eR« hat in den 1980er Jahren nicht jedem geschmeckt und Mensching in politische Schwierigkeiten gebracht. Doch das Duo trat noch bis weit in die 90er Jahre auf.

Bereits 1979 veröffentlicht der damals 21-Jährige erste kleine Gedichte im »Poesiealbum«, ein Heftchen, das es monatlich für 90 Pfennig am Kiosk zu kaufen gab. Zwei Gedichtbände folgen noch zu DDR-Zeiten. Heute lebt Mensching in der Kleinstadt Rudolstadt in Thüringen, leitet seit 15 Jahren dort das Theater.

Nun also »Hausers Ausflug«, ein bitterböser Roman, der während des Lockdowns entstanden ist. Wie, um Himmels willen, er auf diese wahnwitzige Idee gekommen sei, will nicht nur Sabine Heymann wissen. Schon lange vor Corona habe er geglaubt, dass das Eis sehr dünn ist, auf dem wir uns in sozialer Sicherheit wähnen. Als er dann noch auf einem Urlaubsflug nach Tirana (Albanien) neben einem stummen Passagier saß, der nach der Landung in Handschellen abgeführt und vermutlich abgeschoben wurde, ließ Mensching der Gedanke nicht mehr los. Er schickt den großkotzigen Kapitalisten David Hauser auf eine Reise ins Unbekannte, die ihm seine Grenzen aufzeigt.

Wenn Mensching mit sonorer Stimme aus seinem faszinierenden Buch vorträgt, traut man seinen Ohren kaum. Hauser hat eine Kapsel entwickelt, mit der man abgeschobene Flüchtlinge ferngesteuert vom Flugzeug aus über ihrer alten Heimat abwerfen kann - wir schreiben das Jahr 2029. Unerklärlicherweise ist der skrupellose Unternehmer nun selbst Fracht einer solchen Box, die irgendwo im wüsten Nirgendwo landet und seinen ungewollten Passagier mit syrischem Pass zum Überlebenskampf herausfordert.

Punkt ohne Rückkehrchance

Als reine Satire will der Autor seine nur auf den ersten Blick absurde Geschichte nicht verstanden wissen. Er sieht sich eher in der Tradition Franz Kafkas, stellt auch ein Zitat von ihm seinem ausgeklügelten Werk voran: »Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.« Wird auch Hauser dieses Schicksal ereilen? Mensching macht es spannend, bringt noch einen alten Schäfer als Wächter ins Geschehen. Dabei legt er den Finger kritisch in die Wunde der Asylpolitik. Auch die Kurdenfrage wird noch eine Rolle spielen. Welche? Nachlesen unbedingt empfehlenswert!

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