Insektenkunst am Bau

Von der Insektenkunde inspirierte Kunst am Bau ist im neuen Fraunhofer- Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie entstanden. Der Gießener Künstler Andreas Walther hat sie mit seinen Künstlerkollegen Thomas Vinson und Henry Kreiling umgesetzt.
Kunst am Bau hat sich verändert. Das Denken in inhaltlichen Zusammenhängen überstrahlt die Material- und Formzentriertheit früherer Jahre. Und es fördert die Zusammenarbeit von Künstlern unterschiedlicher Bereiche, wie es jetzt am neuen Gebäude des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie zu erleben ist.
Das neue Fraunhofer-Institut am Leihgesterner Weg strotzt vor Superlativen. Es wird die weltweit einzige Forschungseinrichtung zur Insektenforschung, inklusive der Zucht aussterbender Arten, sein. Das Gebäude setzt in Ausführung und Qualität Maßstäbe über Gießen hinaus und für die Kunst am Bau hat man sich nicht lumpen lassen.
Mini-Projektor im Stecknadelkopf
Für den Wettbewerb wurde der Gießener Andreas Walther vorgeschlagen, der sich angesichts der Mammutaufgabe zwei Gießener Freunde mit ins Boot holte, den Künstler Thomas Vinson und den Architekten Henry Kreiling. Gemeinsam entwickelten sie den Wettbewerbsentwurf, wobei die Idee zur Pflanzung von Walther, die Idee für die Stecknadeln von Vinson und die für das Insektenhotel von Kreiling kam. Gemeinsam wurden die drei Projekte weiterentwickelt und umgesetzt.
Die Kooperation mit dem Institutsleiter, Prof. Andreas Vilcinskas, und den Stuttgarter Architekten verlief ausgesprochen positiv, sagen die drei übereinstimmend. Die zentrale Auflage war, dass die Kunst die Tätigkeit des Instituts reflektieren sollte. Nicht gerade klein die Vorgabe, aber sie haben es sensationell gemeistert. Seit Juli 2019 entwickelte das Team Walther/Vinson/Kreiling (WVK-GbR) das Projekt weiter, tüftelte gemeinsam an Detailfragen, holte sich Experten dazu. So beriet etwa bei der Pflanzenauswahl der technische Leiter des Botanischen Gartens in Gießen, Holger Laake. Da dieser beim Pressetermin zufällig anwesend war, erzählte er, dass er in seiner vorherigen Tätigkeit genau solche Innenraumbepflanzungen gemacht habe.
Nun ist Andreas Walther ein Fotokünstler, der sich seit Langem intensiv mit der taoistischen Philosophie und der chinesischen Landschaftsmalerei beschäftigt. Das fließt natürlich auch in dieses Konzept ein. Es handelt von Dualismen wie Körper und Geist, Natur und Kultur, drinnen und draußen. Das ist nicht statisch gemeint, sondern höchst dynamisch und in wechselseitigem Austausch. Dies spiegelt sich an den vier Orten der Kunst im Fraunhofer-Institut.
Draußen auf dem Parkplatz sind neun Bäume gepflanzt, die möglichst unterschiedliche Phänotypen sind und nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt wurden. Im Foyer bilden Pflanzen wie Ficus Benjamini, Bananenstaude, Farne und andere eine subtropische Gemeinschaft, die dschungelähnlich zuwachsen soll. Davor entsteht eine Fläche mit Sitzgelegenheiten und später folgen seitlich auch noch ein Aquarium und ein Terrarium, wie Prof. Vilcinskas einfließen ließ. Das wird ein spannender Ort, wenn man ihn irgendwann bei freier Zugänglichkeit mal besuchen darf.
Über diesem bodennahen Natur-Set erhebt sich die weiße Hauptwand des Atriums über vier Etagen bis zum Glasdach. Darauf stecken 4 mal 5 überdimensionale Stecknadeln in regelmäßigem Abstand, das vermittelt sofort den Eindruck eines Insektensammelkastens, wie ihn Botaniker früher anlegten. In unregelmäßigen Abständen werden auch einzelne Insekten oder Formeln auf die »Einstichstelle« projiziert. Es soll wie ein zufälliger Moment wirken, wie es draußen in der Natur zu erleben ist. Was so einfach klingt, war technisch eine große Herausforderung. Die drei haben mithilfe eines Experten den bislang kleinsten Glas-Diaprojektor der Welt entwickelt. In jedem Stecknadelkopf steckt so ein Mini-Projektor, der Rest der Leitungen ist unsichtbar hinter der Wand versteckt.
Insektenhaus über drei Etagen
Und dann gibt es noch das vergrößerte Insektenhaus, das an der Gebäudeecke zum Leihgesterner Weg angebracht ist, über die drei oberen Etagen. Es ist von weit her zu sehen, jedenfalls für die aus Richtung Linden Kommenden. In die offenen Röhren der unteren Etage werden noch echte Insektenhäuser eingebracht, erklärt Walther, und die gelben Felder sind nachts LED-illuminiert als visuelles Synonym für die »Gelbe Biotechnologie«, die im Innern stattfindet. Zusammen mit den beleuchteten Gewächshäusern auf dem Dach wird das Gebäude in Zukunft einen spektakulären Anblick bieten. Ganz abgesehen vom sensationellen Überblick über Gießen, den man von hier hat. Eine offizielle Eröffnung des Instituts wird es noch geben, doch da gibt das Coronavirus den Takt vor.