In Gießen bislang keine Straftaten im Zusammenhang mit Ukraine-Krieg

Verbale Drohungen gibt es vereinzelt, aber ansonsten registriert die Polizei im Raum Gießen bislang keine Delikte im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Anderswo taucht das »Z« auf.
Gießen (khn). Pro Woche registriert das Bundeskriminalamt (BKA) 200 Straftaten gegen ukrainisch- oder russischsprachige Menschen bundesweit. In Gießen jedoch ist es diesbezüglich ruhig: Wie Polizeisprecher Jörg Reinemer auf Anfrage dieser Zeitung sagt, sind seit Beginn des Angriffskriegs Russlands auf sein Nachbarland keine Delikte in Gießen zur Anzeige gebracht worden, die mit dem Konflikt in Zusammenhang stehen. Anders sieht es in den Nachbarstädten Wetzlar und Marburg aus, die ebenfalls zum Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Mittelhessen gehören. Dort sei es vor allem zu Sachbeschädigungen gekommen, sagt Reinemer.
Nach Informationen des Mediendienstes Integration haben die Landeskriminalämter (LKA) seit Ende Februar bundesweit mehr als 1700 Straftaten im Zusammenhang mit dem Krieg registriert. Meistens habe es sich um Sachbeschädigungen gehandelt - wie zerstörte Schaufenster, zerstochene Autoreifen oder Graffiti an Gebäuden. Die Straftaten richteten sich gegen Personen oder Gewerbe von ukrainisch- oder russischsprachigen Menschen. Hessenweit ermittelt das LKA in 135 Fällen. Die meisten Delikte - knapp 500 - nahmen die Ermittler in Nordrhein-Westfalen auf.
Im Gegensatz zu anderen Städten hat es in Gießen keine pro-russischen Autokorsos und Veranstaltungen gegeben. Die Solidaritäts-Demonstrationen für die Ukraine seien alle friedlich verlaufen, betont Reinemer.
Stattdessen habe es in Marburg und Wetzlar vor allem Sachbeschädigungen gegeben. Reinemer nennt zum Beispiel beschmierte Bushaltestellen. Dort seien einige Wartehäuschen mit einem »Z« beschmiert worden. Der Buchstabe findet sich auf russischen Militärfahrzeugen und Panzern, die in die Ukraine eingedrungen sind und gilt als Synonym für den Krieg. Wiederholt sei auch eine Ukraine-Flagge mit einem Hakenkreuz beschmiert worden. Außerdem, sagt Reinemer, sei es in Wetzlar zu einer Schlägerei zwischen einem Ukrainer und einem Russen gekommen - unter Alkoholeinfluss.
Man muss aber nicht meinen, dass Gießen mit Blick auf den Krieg eine Insel der Glückseligen wäre. So berichten Ukrainer, dass Passanten beim Anblick der ukrainische Fahne auf dem Balkon auf Russisch »Jetzt wird dort endlich aufgeräumt« gerufen hätten. Gleichzeitig sorgen sich russischstämmige Menschen, dass die Feindlichkeit ihnen gegenüber zunimmt. So klagte der Besitzer des Bistros Moskau über gezielte negative Kommentare im Internet. Oleg Ismagilow sagte gegenüber dieser Zeitung: »Als würden wir den Krieg gutheißen «
Gleichzeitig warnt das Bundesamt Verfassungsschutz vor falschen Meldungen über Übergriffe auf russischstämmige Personen - besonders in den sozialen Medien, wie der Mediendienst Integration mittelt. Anfang April hatte das Amt in diesem Zusammenhang vor gezielten Desinformationskampagnen gewarnt. Vor allem die russische Botschaft habe viele unbestätigte Fälle von Übergriffen oder Diskriminierungen gegen russischstämmige Menschen gesammelt und verbreitet. Dazu passt ein Fall aus Lollar vor einer Woche: Das russische Generalkonsulat in Bonn hatte einer Schule in der Stadt russophobes Verhalten vorgeworfen und behauptet, in Pausen Russisch zu sprechen, sei dort verboten. Die Clemens-Brentano-Europaschule widersprach deutlich. Deren Schulleiter Andrej Keller nannte den Vorwurf »böswillige Propaganda«; die russische Sprache sei gerade jetzt ein wichtiges Kommunikationsmittel.