Improvisationskonzert und neue Klangwelten

Gießen (bac). Ein ungewöhnliches, musikalisches Experiment lieferte das Stadttheater zum bundesweiten Digitaltag am Freitag. »Das wird ein Abenteuer für alle an diesem Abend«, hatte der Moderator Patrick Schimanski versprochen. Er sollte Recht behalten. Es wurde ein Improvisationskonzert mit Ablaufplan.
In einer Synthese zwischen analogen und digitalen Klangwelten gingen die Sopranistin Karola Pavone, der Eletronikmusiker Ulrich Müller, Patrick Schimanski (Schlagzeug und Elektronik) sowie Martin Spahr (Piano) neue musikalische Wege. Doch damit nicht genug: Diese Tonkollagen wurden direkt nach München zum Musiker und Softwareentwickler Jörg Stelkens übermittelt, dort in Echtzeit bearbeitet und wieder in das Konzert zurück gespielt. Die Texte, die die Sopranistin hauchte, las, klopfte oder auch sang, stammten - bis auf einen - von GPT-3, der derzeit besten Sprach-KI (Künstliche Intelligenz), die die Texte speziell für das Konzert generiert hatte. Allerdings zeigte sich auch hier die Begrenztheit des Systems. Der KI wurde vorgegeben, ein Gedicht im Stil Goethes zu verfassen. Diese hatte das dann wohl mit dem Begriff »Gott« verwechselt und entsprechend heraus kam ein Text, der sich als eine Art Variation des Genesis-Textes aus der Bibel erwies: »Zu Beginn war nur die Maschine und es war gut.«
Rilke-Gedicht mit Seele statt KI
Ganz zum Schluss zitierte Pavone das Rilke Gedicht »Wir sind ganz angstallein«. Und auf einmal ging ein Ruck durch das Publikum, denn diese Lyrik - so sprachgewaltig sie auch ist - ist dennoch verständlich, weil sie eine Seele hat, im Gegensatz zu den Wortgebilden der KI.
Zudem griff eine Software in das Klangerlebnis direkt ein. Dadurch kam es auch für die Künstler zu überraschenden Klangerlebnissen. Melodische Stränge wurden aufgelöst, seziert und neu zusammengesetzt. Insgesamt entwickelten sich eher langatmige Klangkonstruktionen mit wenigen Überraschungen, die durch ungewöhnliche Aktionen begleitet wurden. So entlockte Spahr seinem Flügel auf ungewohnte Art Töne: Mal warf er Taschentücher auf die Saiten, mal zupfte er diese oder klapperte mit dem Deckel des Flügels. Dies war jenseits normaler Hörerlebnisse, ob dies ein zukünftiger, musikalischer Weg sein wird, das bleibt offen. Auch musikalisch brachte dies keine wirklich neueren Hör- und Klangerlebnisse.
In der Diskussionsrunde widmeten sich Ulrich Müller, Karola Pavone, Patrick Schimanski und Maik Romberg (Stabstelle Digitalisierung der Münchener Kammerspiele) den Herausforderungen, die Digitalisierung und KI mit sich bringt. Moderiert wurde die Runde von Patrick Schimanski. Romberg betonte, dass man mitten drin im Prozess stehe und man ernsthaft eine Diskussion über die Strukturen innerhalb eines solchen Künstlerbetriebes führen müsse. »Wenn ich einen schlechten Prozess digitalisiere, dann wird er dadurch nicht besser.«
Dieses ungewöhnliche Konzert ist auf der Homepage des Stadttheaters abrufbar unter: https://www.stadttheater- giessen.de/buehnedigital/post/klangwelten-zum-nachhoeren.