Immer auf die Tränendrüse

Gießen (csk). Der Garten ruft: Sommer, Sonne, Liegestühle: All das hätten Ina Bröckel und Sebastian Thierbach nun zu Hause haben können. Stattdessen schlendern die beiden, ausgerüstet mit einem ziemlich großen Korb, am Sonntagvormittag über den fast schattenfreien Wohnmaxx-Parkplatz im Gewerbegebiet West. Den ersten Flohmarkt nach drei Monaten Corona-Pause zu besuchen, sei eine »spontane Eingebung« gewesen, sagen sie. Keine Wünsche also? Doch, das eine oder andere Mitbringsel stehe auf dem Zettel. Kinderbücher etwa, Stoffe, Spielzeugautos - und vor allem die soeben ergatterte Gartendeko. Die lässt sich später beim Sonnenbad bewundern.
Um überhaupt auf das Gelände zu kommen, mussten Bröckel und Thierbach gut 20 Minuten warten. Denn wegen der behördlichen Vorgaben dürfen maximal 250 Personen gleichzeitig trödeln.
Kontaktdaten hinterlassen
Jenseits des Zauns wächst so bereits morgens eine Schlange. Jeder Haushalt muss seine Kontaktdaten hinterlassen. Mit Zettel und Stift zählt Alexander Haas am Eingang, Sohn Moritz notiert direkt daneben am Ausgang. Haben zum Beispiel fünf Leute den Markt verlassen, dürfen fünf wieder hinein. Auch für die Händler gibt es deutlich weniger Plätze als sonst. Rund 100 dürften es sein, schätzt Andrea Haas. Dem Stöbern und Feilschen sind diese Bedingungen nicht besonders zuträglich. »Für uns Anbieter ist es schwierig«, meint Lars Kürzer aus Bad Ems.
Weniger Leute bedeuteten eben weniger Kundschaft. Eine Maskenpflicht gelte auch in Rheinland-Pfalz, die 250er-Grenze nicht. Nur die Tricks, die funktionieren lahnaufwärts nach denselben Mustern. Corona spielt dabei laut Kürzer eher den Käufern in die Karten. Da höre man schnell: Ich habe keinen Job mehr und kaum noch Geld, kann deine Preise also gar nicht zahlen.
Von solchen Versuchen erzählt auch Kürzers Kollege Christof Fey. Den Gießener Flohmarkt besucht er zum ersten Mal. Dennoch ist Fey ein alter Hase im Trödelgeschäft. »Immer schön auf die Tränendrüse drücken« gelte nicht erst seit Corona. Lässig lehnt der Profi an seinem Bulli. »Aber wenn ich die Geldscheine in der Tasche sehe, gibt’s einen saftigen Aufschlag.« Ähnlich routiniert beurteilt der Darmstädter die dreimonatige Flohmarkt-Zwangspause. »Kein Problem«, sagt er. »Ich hab halt entrümpelt.« Das zweite Standbein, eine Steinfiguren-Manufaktur, sorgte für weitere Absicherung.
Bei 250 funktioniert es gerade so
Etwas größere Sicherheit würde sich auch Andrea Haas wünschen. Schließlich wisse niemand, welche Vorgaben man in einigen Wochen oder ein paar Monaten erfüllen müsse. Trotzdem sei sie froh, »dass es wieder losgeht«, sagt die Organisatorin. Bei maximal 100 Personen habe der Aufwand - mit Security und eigenem Hygienekonzept - noch keinen Sinn. Bei 250 funktioniere es jetzt gerade so. »Besser wären 500.«
Gegen Mittag leert sich der Parkplatz. Die heiße Fleischwurst am Eingang mundet um 11.30 Uhr längst keinem mehr. Und hitzig sind ja ohnehin bloß die Temperaturen, nicht die Verhandlungen. »Gedämpft« wird so zum Schlagwort des Tages.
Ein Anfang ist für alle Trödelbegeisterten aber endlich wieder gemacht. Den Rest des Tages verbringen selbst sie wohl lieber im Garten. In der Sonne, auf dem Liegestuhl. Mit bester Sicht auf die neue Deko.