»Ich liebe euch doch alle«

Der Podcast »Eine Stunde History« des Websenders Deutschlandfunk Nova wurde diesmal nicht in Köln, sondern live im Uni-Hauptgebäude in Gießen produziert. Das wollten viele History-Fans nicht verpassen, schließlich ging es auch um den bedeutenden Stasi-Mann Erich Mielke.
Eine lange Warteschlange mit gut gelaunten und vorwiegend jungen Gästen bildete sich am Donnerstagabend vor dem Uni-Hauptgebäude in der Ludwigstraße. Draußen verrieten bereits die Aufsteller von Deutschlandfunk (DLF) Nova, was in der Aula des alt-ehrwürdigen Gebäudes der Justus-Liebig-Universität (JLU) passieren würde. Der Live-Podcast »Eine Stunde History« war in der Stadt und beschäftigte sich mit Erich Mielke, der in der DDR 32 Jahre lang Minister für Staatssicherheit war.
Das dritte Programm des Deutschlandradios (DLR) ließ ein Live-Publikum bei der Show kostenlos dabei sein. Die überwiegend jungen Zuschauer in Gießen entsprechen in etwa einem Querschnitt der täglichen Hörerschaft im Netz. Bei den exklusiven Web-Inhalte sind nach Senderangaben täglich rund 140 000 Menschen dabei. DLF Nova macht anspruchsvolles Programm für junge Menschen: »Hirn will Arbeit« war ein frühes Motto dieses Formats , heute lautet es »Es ist kompliziert« und dazu «guter Pop.« - der in Gießen am Donnerstag allerdings nicht gespielt wurde.
In Gießen füllte DLF Nova mit seinem Angebot jedenfalls eine ganze Aula. Beim Live-Format freute sich das Publikum mit einer lautstarken Begrüßung über die Gesichter zu den vertrauten Stimmen. Markus Dichmann und Matthias von Hellfeld, der ihm stets als Geschichtsexperte zur Seite steht, waren das Moderationsduo.
Um Erich Mielkes Geschichte erzählen zu können, baten sie zuerst den Historiker und Stasi-Experten Dr. Jens Gieseke auf die Bühne, danach den Leiter der Spionageabwehr des Berliner Verfassungsschutzes, Dr. Helmut Müller-Ensberg. Der machte sich immer wieder einen Spaß daraus, die Rezeptur für heutige Spionage lieber unter Verschluss halten zu wollen. DLF-Nova-Reporterin Gritt Eggerich sprach einen Beitrag ein, der Erich Mielke vorstellte, begleitet von Tonmaterial aus DDR-Zeiten. Doch wie das eben live passieren kann, ließ ein Clip einer historischen Tonaufzeichnung etwas länger auf sich warten. Das Moderationsteam nahm es mit Humor. Bei den einschlägigen Streaming-Anbietern wird dieses kleine Malheur dann ohnehin nicht mehr zu finden sein.
Zwei Stunden lang drehte sich an dem Abend alles um den kommunistischen Politiker Mielke. Viel Zeit nahm man sich im Podcast auch für die Fragen der Gäste. Darunter: »Warum seid ihr mit dem Podcast ausgerechnet nach Gießen gekommen?« Die Frage wurde mit Humor genommen. Dichmann antwortete frech grinsend: »Ja das haben wir uns auf dem Weg hierher auch gefragt.«
Vom Mordhelfer zum Wohltäter?
Beeindruckt haben die berühmten O-Töne eines der Architekten des Unterdrückungs- und Überwachungssystems der DDR. 1989, also im Jahr des Mauerfalls, gab sich Mielke plötzlich als Menschenfreund vor der DDR-Volkskammer. Seine Worte waren in den letzten Zügen der DDR eher kleinlaut. Sie hallten beim Live-Podcast durch die Uni-Aula: »Ich liebe - Ich liebe doch alle - alle Menschen - Na ich liebe doch - Ich setze mich doch dafür ein.«
Das Publikum schmunzelte oder lachte - an diesem Abend in Gießen genauso wie damals die DDR-Bürger vor der Volkskammer. Auf die Frage, ob bei Verrat auf die Todesstrafe verzichtet werden soll, hatte Mielke 1982 gesagt: »Alles Käse, Genossen. Hinrichten.«