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»Ich komme aus Charkiw«

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Die fortgeschrittene Intensivklasse im Unterricht. © Red

Gießen-Kleinlinden (bf). Seit Ende Februar können viele Kinder und Jugendliche wegen des Krieges in der Ukraine nicht mehr zur Schule gehen. Sie müssen aus ihrer Heimat fliehen und suchen auch in Gießen nach Möglichkeiten, um einen relativ normalen Alltag zu erleben. Die Brüder-Grimm-Schule (BGS) in Kleinlinden bietet ihnen als eine der Schwerpunktschulen für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache Zugang zu Bildung.

Vergleichbare Konzepte haben die Alexander-von-Humboldt-Schule und die Friedrich-Ebert-Schule. Hier können die ukrainischen Kinder zusammen mit anderen Schülern in Intensivklassen wieder lernen und vielleicht neue Freunde kennenlernen.

Es ist Donnerstagmorgen und die zweite Schulstunde an der BGS beginnt. Die fortgeschrittene Klasse der vier Intensivklassen hat Deutschunterricht. An den Tischen wird noch leise in verschiedenen Sprachen geflüstert, bis Lehrerin Lenka Schneider die Schüler begrüßt. Alle stehen auf und sagen im Chor: »Guten Morgen.« Danach stellt sich ein neuer Schüler vor: »Ich heiße Glib und komme aus Charkiw«, erzählt er vorsichtig mit ukrainischem Akzent.

Homeschooling und in Präsenz

Wie viele andere ukrainische Schüler ist der 13-jährige Glib erst seit ungefähr einem Monat in Deutschland. Er hat Deutsch schon in der Ukraine gelernt. Jetzt gilt es, auf den Sprachgrundlagen aufzubauen, um Anschluss in Deutschland zu finden,

Schneider wirft mit dem Projektor ein Bild an die Tafel; die Klasse soll sagen, was darauf zu sehen ist. »Ich sehe eine Frau« sagt Maslah, ein Schüler aus Somalia. »Ich sehe eine Einkaufsliste«, beschreibt Nadiia, die aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew kommt. Die Schüler wirken alle sehr konzentriert, wahrscheinlich sogar ein wenig mehr als sonst, weil die Schulleiterin Barbara Burggraf den Unterricht heute begleitet.

Nach der Schulstunde erzählen Burggraf und Schneider, die auch Fachberaterin im staatlichen Schulamt ist, dass aktuell 31 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an der BGS unterrichtet werden. 14 von ihnen besuchen eine Intensivklasse, in der nur ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. In einer gemischten Gruppe für Fortgeschrittene werden vier junge Menschen beschult. Hinzukommen weitere Kinder in der Grundstufe, die aber im Zuge des regulären Unterrichts gefördert werden.

Die ukrainischen Schüler sollen zwar auch teilweise ein Homeschooling-Angebot von ihren Schulen in der Heimat haben. Aber dieses ersetze keinen Präsenzunterricht mit sozialen Kontakten und der Chance, sich in Deutschland zurechtzufinden, betont die Schulleiterin. »Man muss das Beste für das Kind sehen«, sagt Burggraf. Deshalb würden einige Kinder und Jugendlichen sowohl die Brüder-Grimm-Schule besuchen, um Deutsch zu lernen, als auch das Homeschooling-Angebot der Ukraine nachmittags nutzen, sagt Schneider. Bei einem Sprechtag mit den ukrainischen Eltern seien diese sehr dankbar für die Möglichkeiten der Schule gewesen und wollten direkt wissen, ob sie bei etwas helfen können.

Da die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten und Vorkenntnisse haben, sei der Unterricht sehr individuell gestaltet. Dafür habe die Brüder-Grimm-Schule für alle Intensivschüler iPads vom Schulträger erhalten, auf denen Sprach-Lern-Apps installiert seien. So könne jedes Kind so lernen, dass es zum Kenntnisstand passt.

Das Ziel der Intensivklassen sei die vollständige Integration in die Regelklassen. Daher müsse das restliche Kollegium dauerhaft flexibel bleiben, um jederzeit neue Schüler in eine Klasse aufzunehmen. Das Sprachförderkonzept der Schule sei inzwischen ausgereift, da die BGS schon seit rund 20 Jahren eine Schwerpunktschule ist und mehrere Lehrer russisch oder ukrainisch sprechen. Schulleiterin Burggraf betont: »Auch die Schüler helfen bei der Integration und sind sehr offen. Sie verfügen über eine hohe Interkulturalität.«

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