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Hoffnung auf Entlassung: Gießener sitzt seit über vier Jahren in türkischem Gefängnis

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Von: Christoph Hoffmann

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Der 33-jährige Gießener Patrick Kraicker sitzt seit über vier Jahren in einem türkischen Gefängnis.
Der 33-jährige Gießener Patrick Kraicker sitzt seit über vier Jahren in einem türkischen Gefängnis. © Privat

Patrick Kraicker sitzt seit über vier Jahren in einem türkischen Gefängnis. Der Gießener ist unter fragwürdigen Bedingungen zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt worden.

Gießen - Es ist ruhig geworden um Patrick Kraicker, jenem Gießener, der 2018 bei einer Reise in die Türkei festgenommen und später zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Das Leben hinter Gittern ist für den inzwischen 33-Jährigen längst zum Alltag geworden. »Er hat sich arrangiert. Zwangläufig«, sagt seine Mutter Claudia Schmuck. Doch die Realität könnte schon in wenigen Wochen anders aussehen. Kraicker konnte sich laut seiner Mutter Hoffnung auf eine vorzeitige Haftentlassung zum 1. Dezember machen. »Das Konsulat hatte uns das in Aussicht gestellt. Auch die Gefängnisdirektion sagte, nach fast viereinhalb Jahren stünde dem eigentlich nichts im Wege«, sagt Schmuck. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse.

Der 14. März 2018 hat das Leben der Familie völlig auf den Kopf gestellt. An jenem Tag wurde Kraicker in einem türkischen Sperrgebiet an der syrischen Grenze aufgegriffen. Ihm wurde vorgeworfen, er habe die Grenze nach Syrien überschreiten und sich der Kurdenmiliz YPG anschließen wollen. Freunde und Familie betonen, er habe in der Türkei lediglich wandern wollen. Nachdem sein Hotelzimmer aufgebrochen worden sei, habe ihn ein Mann per Anhalter mitgenommen und im Sperrgebiet ausgesetzt. Das Gericht sah es anders und verurteilte den Gießener in einen nur wenige Tage dauernden Prozess zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten.

Rund zwei Drittel dieser Strafe hat der Gießener inzwischen abgesessen. Das sei auch der Grund gewesen, warum ihrem Sohn eine vorzeitige Entlassung signalisiert worden sei, sagt Schmuck. »Wir hatten schon alles vorbereitet und auch eine kleine Wohnung in der Türkei organisiert.« Das Verteidigerteam, zu dem auch der renommierte Anwalt Veysel Ok gehört, der bereits den »Welt«-Journalisten Deniz Yücel erfolgreich vertreten hat, ging davon aus, dass die Haftentlassung mit einer Ausreisesperre verbunden sei. Doch dazu kam es nicht.

Gießen: Anträge auf vorzeitige Haftentlassung »aus fadenscheinigen Gründen« abgelehnt

Anfang Juni erhielt Schmuck einen Anruf ihres völlig aufgelösten Sohnes. »Er wurde Hals über Kopf von Istanbul in ein anderes Gefängnis nach Ankara verlegt. Seitdem ist alles wieder völlig ungewiss.«

Zwei Anträge auf vorzeitige Haftentlassung haben die Anwälte bereits erneut gestellt, die Gefängnisleitung habe dies aber abgelehnt. »Aus fadenscheinigen Gründen«, sagt Schmuck. So habe sich ihr Sohn nicht ausreichend von diversen Gruppieren gelöst, habe die Gefängnisleitung argumentiert, außerdem zeige Kraicker keine Reue. »Mein Sohn sagt jedoch, er hat überhaupt keinen Kontakt zu irgendwelchen Gruppen«, betont Schmuck.

Das alles setze ihrem Sohn schwer zu, zumal er die ersten Wochen im neuen Gefängnis wegen eines Übermittlungsfehlers kein Geld erhalten habe. »Körperlich ist er okay, psychisch jedoch nicht«, sagt die Mutter. Wie genau es ihrem Sohn gehe, wisse sie aber nicht. »Er darf am Telefon nicht alles sagen, ein Wärter steht immer neben ihm.« Außerdem glaubt Schmuck, dass ihr Sohn auch vieles für sich behalte, um die Familie in Deutschland nicht noch mehr zu beunruhigen.

Gießener in türkischem Gefängnis: Plötzliche Verlegung dämpft Hoffnung

Viereinhalb Jahre sind eine lange Zeit, besonders hinter Gittern. Kraicker hat längst türkisch gelernt, er liest sehr viel, sagt seine Mutter, außerdem habe er einen Fernseher auf dem Zimmer. Er schaue gerne deutsche Nachrichten, auch wenn das von den Wärtern mitunter unterbunden werde.

Noch hat Schmuck die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihr Sohn am 1. Dezember frei kommt. Bei einem Termin im Auswärtigen Amt, den der Kölner Verein »Stimme der Solidarität« organisiert hatte und bei dem auch der Gießener Mehmet Tanriverdi von der Kurdischen Gemeinde teilgenommen hat, sei ihr Unterstützung bei einer möglichen Überführung nach Deutschland zugesichert worden, sagt Schmuck. »Die Hoffnung ist nach wie vor da.«

Unabhängig davon, wann Kraicker nach Deutschland zurückkehren kann, macht sich seine Mutter jedoch keine Illusionen über den mentalen Zustand ihres Sohnes. Die Haft habe Spuren hinterlassen, sagt sie. »Mein Sohn wird als anderer Mensch zurückkommen.« (Christoph Hoffmann)

In Gießen wurde kürzlich ein 22-Jähriger zu einer Haftstrafe von 9,5 Jahren verurteilt worden. Zuvor hatte er seit seinem 16. Lebensjahr elf Vorstrafen kassiert.

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