Hochzeitsfotograf auf Entzug

Sich ins Getümmel stürzen, rührende oder skurrile Momente entdecken und festhalten: Hochzeiten sind seine »Droge«, sagt der Fotograf Christoforos Mechanezidis. Jetzt zwingt ihn die Coronakrise zum »Entzug« - und »Rossi« dokumentiert Menschen im Leben »auf Abstand«.
Das Paar steht vor der Haustür, der Kuss ist hinter der vorgehaltenen Mundmaske nur zu erahnen, fotografiert wurden die beiden sichtbar aus mehreren Metern Distanz. So sieht sie aus, die Coronakrise. Oder so: »Geschmacksverkehr«-Wirt Dimitri Skartsanis sitzt mit ernstem Blick und aus der Form geratener Frisur in seinem leeren Lokal. Auf dem Tisch, wo sonst Teller und Gläser stehen, liegt Spielzeug seines Kindes. Der Gießener Fotograf Christoforos »Rossi« Mechanizidis hat sich den Auswirkungen der Pandemie zugewandt. Denn eben diese hält ihn derzeit ab von seinem Broterwerb: Der Hochzeitsfotografie.
Mechanezidis - »halb Grieche, halb Sauerländer, geboren als waschechter ›Schlammbeiser‹« - gehört zu den vielen Unternehmern, die sich wegen Corona kurzfristig neue berufliche Wege bahnen müssen. Und der 42-Jährige kann, im Gegensatz zu anderen, noch lange nicht in eine Art Normalbetrieb zurückkehren.
Vereinzelt geben sich Paare zwar das Jawort vorm Standesamt und buchen dazu gelegentlich auch ein professionelles Fotoshooting. Doch es zeichnet sich ab, dass ausgelassene Feiern frühestens im Herbst wieder möglich sein werden. Etliche Kunden haben das Fest unter dem Mode-Motto »plus eins« auf das nächste Jahr verschoben.
Mechanezidis ist seit 2006 selbstständig als Fotograf. Nach einem konzeptionellen Neustart im Jahr 2017 hat er sich auf Hochzeiten spezialisiert - mit zunehmendem Erfolg. So wurde er 2019 »Hochzeitsfotograf des Jahres« der Organisation »Masters of German Wedding Photography«. Die gerade erst frisch gebildeten Rücklagen helfen zwar über die ersten Krisen-Monate hinweg, reichen aber nicht ewig; und nun brechen ihm die Einnahmen weg.
Coronakrise kreativ abbilden
Mit zwei Corona-Projekten möchte er Neues ausprobieren, seinen Kundenstamm erweitern und hoffentlich auch etwas Geld verdienen. Zum einen porträtiert er unter dem Titel »Rossis Haustür-Shootings« Privatleute, die sich weitgehend ins eigene Heim zurückziehen mussten. Sie könnten beispielsweise aus dem Fenster schauen, während der Fotograf draußen Abstand hält. Dafür können sich Interessenten melden; sie erhalten jeweils ein Bild kostenfrei, weitere gegen Geld.
Zum anderen nimmt er Gastronomen oder andere Selbstständige in ihren - noch - leeren Betrieben auf, dazu kurze Audio-Statements; Arbeitstitel »Alles auf Stopp«.
Diesen zeithistorischen Ansatz kombiniert Mechanezidis mit seiner fotografischen »Handschrift«, die er Kollegen regelmäßig in Seminaren vermittelt: Mit kreativem Einsatz von »entfesselten« Extra-Blitzen »versuche ich die Leute noch stärker in den Fokus zu stellen.«
Möglicherweise könnte aus den aktuellen Projekten ein Buch werden oder eine andere Form der Veröffentlichung. Insofern sieht »Rossi« auch Positives an der Krise: »Ich bin jemand, der sich gern ins kalte Wasser wirft.« Und der vielfältig kreativ ist: Nebenbei hat der 42-Jährige einen Podcast auf Instagram gestartet, in dem er sich mit Kollegen und Kunden austauscht. Als Hobbys nennt er das Zeichnen von Cartoons und das Auflegen von Vinylplatten als DJ.
Nichts davon werde aber sein neuer beruflicher Schwerpunkt werden, so seine Überzeugung. »Hochzeiten sind meine Droge. Dementsprechend bin ich zur Zeit auf Entzug.« Besonders liebt Mechanezidis die Reportage-Aufträge, bei denen er den ganzen Tag begleitet. »Ich stürze mich ins Getümmel, lasse mich von den Emotionen anstecken, halte skurrile und rührende Momente fest«, schwärmt er vom »Adrenalin-Trip« eines solchen Tages. »Ich freue mich jetzt schon auf die Zeit, in der wieder richtig gefeiert werden kann.« Wann auch immer das sein wird.