Hoch hinaus, am Boden geblieben

Die Dachdeckerei Ernst Schöffmann in Wieseck ist 1930 von ihrem Namensgeber gegründet worden. Seither hat der Familienbetrieb viel erlebt. Die Folgen von Corona und der Energiekrise stellen Inhaber Stefan Schöffmann und seine Kinder Katja und Nico jedoch vor ganz neue Herausforderungen.
Das Betriebsgelände der Dachdeckerei Ernst Schöffmann im Teichweg wirkt verwaist. Auf dem 4400 Quadratmeter großen Areal sind jede Menge Holzbalken, Dämmmaterial und Ziegel zu sehen, Menschen sucht man jedoch vergeblich. Kein Wunder, wie etwas später Katja Schöffmann erklärt: Die Arbeiter sind auf den Dächern der Kunden zugange. »Außerdem haben wir nicht mehr so viele Mitarbeiter wie früher«, betont die 28-Jährige. Das ist nicht etwa einer misslichen Auftragssituation geschuldet. Denn während in vielen Betrieben Wachstum als übergeordnetes Ziel ausgegeben wird, haben die Schöffmanns ganz bewusst einen anderen Weg eingeschlagen.
92 Jahre ist es her, dass Ernst Schöffmann mit kleinen Dachdeckerarbeiten sein erstes Geld verdiente. »Er war gerade einmal 17 Jahre alt«, erzählt Stefan Schöffmann, heutiger Inhaber und Nachfahre des Firmengründers. Sein Großvater sei damals noch mit einem einfachen Leiterwagen durch das Dorf gefahren und habe sich Arbeit gesucht.
Fokus auf mehr Lebensqualität
Heute wird die Dachdeckerei und Spenglerei in dritter und vierter Generation geführt. Inhaber Stefan Schöffmann hat vor einigen Jahren seinen beiden Kindern Prokura erteilt. Während sich Katja Schöffmann um das Büro kümmert, arbeitet Dachdecker- und Spenglermeister Nico Schöffmann bei den Kunden vor Ort.
Oft ist es so, dass die Jugend nach Höherem strebt, die Betriebe der Eltern vergrößern und selbst nach den Sternen greifen wollen. Bei den Schöffmanns war es nicht so. Seitdem Sohn und Tochter mit in der Verantwortung stehen, hat sich die Mitarbeiterzahl verkleinert. »Wir hatten einmal über 20 Mitarbeiter, jetzt sind es nur noch sieben auf den Dächern. Wir sind bewusst auf diese Größe gegangen«, sagt Katja Schöffmann. Das habe vor allem mit dem Wunsch nach mehr Lebensqualität zu tun. »Wir haben gesehen, wie viel mein Vater gearbeitet hat. Wenn wir ihn als Kinder sehen wollten, mussten wir auf die Baustelle oder in die Firma gehen.« Der Vater kann das bestätigen. »Es gab kein Feierabend, kein Wochenende, kein Urlaub. Ich habe nur gearbeitet und geschlafen.«
Die reduzierte Mitarbeiterzahl hat sich auch auf den Kundenstamm ausgewirkt. »Wir versorgen nur noch Privatkunden und übernehmen keine großen Projekte mehr«, betont die Prokuristin. Dazu gehört auch, dass der Betrieb lediglich Aufträge annimmt, die nicht weiter als 15 Kilometer entfernt vom Firmensitz liegen. All das habe viel, aber nicht nur mit einem gesünderen Verhältnis von Arbeit und Freizeit zu tun. »Ab einer gewissen Größe und Mitarbeiterzahl arbeitet man überwiegend für große Auftraggeber, bei denen alles kein Geld kosten darf und man seine Arbeit zu fixen Terminen erledigt haben muss. Darunter leidet schlussendlich die Qualität. Das können und wollen wir nicht mit uns vereinbaren.«
Aber auch mit kleinem Team gibt es viel zu tun. Es bedient das komplette Spektrum der Dachdeckerei. »Überwiegend beschäftigen wir uns mit der Sanierung von Dächern sowie Balkonen, Terrassen und den Einbau oder Tausch von Dachflächenfenstern. Wir übernehmen aber selbstverständlich auch kleine Reparaturarbeiten«, sagt Katja Schöffmann. Hinzukommen Spenglerarbeiten aller Art, Holzbauarbeiten, Blitzschutz und nicht zuletzt Fotovoltaik. Vor allem Letzteres sei nach einer längeren Flaute nun wieder sehr gefragt, sagt Stefan Schöffmann, der genauso wie sein Sohn eine Zusatzausbildung zur Fachkraft für Solartechnik absolviert hat. »Selbst Bauherren, die über 80 sind, interessieren sich dafür.«
Die Motivation für die Installation habe sich in den vergangenen Jahren aber verändert. Früher sei es den Kunden vor allem um die Einspeisevergütung gegangen. In den vergangenen 15 Jahren ist diese aber um 75 Prozent gesunken, was auch das zwischenzeitliche Desinteresse erklärt. Seitdem die Preise für Strom, Gas und Öl aber derart explodiert sind, sei eine Solaranlage für viele Menschen wieder attraktiv, sagt Stefan Schöffmann. »Die Leute wollen autark sein. Fast alle Dachsanierungen sind momentan mit der Installation einer PV-Anlage verbunden.«
Die Krisen der letzten Jahre haben nicht nur die Nachfrage verändert, sondern auch die Preise. Corona hat gerade bei Baumaterialien zu Lieferengpässen geführt, der Krieg in der Ukraine hat dies noch einmal verschärft. »Holz ist zwar wieder verfügbar, aber immer noch mehr als doppelt so teuer wie früher«, sagt Katja Schöffmann. Viele andere Materialien seien kaum oder nur zu horrenden Preisen zu bekommen. »Natürlich müssen wir die Kosten an unsere Kunden weitergeben«, fügt ihr Vater hinzu. Die Sanierung eines Daches sei derzeit etwa 40 Prozent teurer als noch vor zwei Jahren, 70 000 Euro müsse man im Schnitt einrechnen - ohne PV-Anlage.
Solar-Boom wegen Krieg
Eine Entspannung der Lage sei derzeit nicht in Sicht, sagt der Firmeninhaber und räumt ein, dass ihm diese Perspektive durchaus Sorgen bereite. »Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die Kunden es bald nicht mehr bezahlen können.« Schon jetzt würde der ein oder andere auf eine dringend nötige Sanierung verzichten und das Dach stattdessen notdürftig flicken.
Auf den eigenen Erfolg hat diese besorgniserregende Entwicklung bisher noch keine Auswirkung, betont Katja Schöffmann. Demnach wird der bodenständige Familienbetrieb den Gießenern auch weiterhin aufs Dach steigen.