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Hinter dem roten Vorhang

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Von: Sebastian Schmidt

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Für die meisten Besucher ein Muss: Snacks beim Kinobesuch. Mitarbeiter Sebastian Mattke verrät: Süßes Popcorn ist viel beliebter als salziges. © Oliver Schepp

Karte kaufen, Popcorn und eine Cola dazu und ab in den Sessel gefletzt - gleich beginnt der Film. Jeder kennt das Kino-Gefühl, dieses Event-hafte, das trotz Netflix und Flachbildfernseher die Menschen weiterhin in die Lichtspielhäuser zieht. Aber was passiert eigentlich hinter den Kulissen, im Vorführraum oder der Popcorn-Küche? Das Kinopolis gewährt einen Einblick, bei dem auch der Wandel des Kinos in den vergangen Jahren sichtbar wird.

Im Geldbeutel hinten, zwischen den Scheckkarten, die man nie braucht, versteckt sie sich noch: Die zuletzt gekaufte Kino-Karte bevor Corona und das Kontaktvermeiden losgegangen ist. Dezember 2019, Star Wars 9, Saal 7 im Kinopolis. Weniger sorgenvolle Menschen kommen schon länger wieder in die beiden Kinos der Stadt, und auch für viele andere schiebt die Pandemie einem Besuch wohl schon lange keinen Riegel mehr vor. Eine gute Gelegenheit, um einmal einen Blick hinter die Kulissen des Kinopolis am Berliner Platz zu werfen. Und dabei gibt es einige überraschende Erkenntnisse: Die Kinokarte als Andenken, gibt es für manche Kunden nur noch auf Nachfrage, und nach dem Kinos lange Zeit von Kurieren die Filme auf Band angeliefert bekommen hatten, gehört mittlerweile auch das Anliefern der Filme auf Festplatten der Vergangenheit an.

Eine neue Entwicklung spielt für die Kunden schon eine Rolle, bevor sie das Kino überhaupt betreten, erzählt Luciano Bohl, Teamleiter im Kinopolis und heute an der Kasse eingeteilt. »Mittlerweile werden sehr viele Online-Tickets gekauft.« Das wurde in den vergangene beiden Pandemie-Jahren empfohlen, und die meisten Besucher scheinen sich nun daran gewöhnt zu haben. Das liegt zum Teil sicher auch an einer anderen Veränderung: Es gibt keine Reservierungen mehr. »Die wurden während Corona wegen dem begrenzten Plätzen abgeschafft«, sagt Bohl. Wer jetzt einen der begehrten Plätze, mittig weiter hinten, haben möchte, muss die Kinokarte rechtzeitig im Internet kaufen.

Reservierungen sind abgeschafft

Ein Pärchen, das für die Mittagsaufführung um 14 Uhr zu Bohl an die Theke kommt, hat genau das vorher gemacht. Er zückt sein Handy, ruft das Ticket auf, und der Kino-Mitarbeiter scannt die Karte mit einem Lesegerät. »Sie müssen zu Kino 5, viel Spaß.« Der Vorgang dauert keine 15 Sekunden. Und was ist jetzt mit den Kinokarten als Souvenir? »Die drucken wir auf Nachfrage gerne aus«, sagt Bohl.

An der Snack-Theke steht gerade Sebastian Mattke. Bei ihm erwartet die Kinobesucher alles, was das Herz begehrt: Vom Eis-Konfekt, über Nachos bis zum Popcorn - gesalzen oder gesüßt. Was verkauft sich besser? »Auf neun Süße verkaufe ich ein Salziges«, sagt Mattke. Und Popcorn verkaufe sich öfter als Nachos.

Eine Mutter mit zwei Kindern schaut währenddessen konzentriert auf die Anzeigetafeln, bevor sie eine Bestellung für Popcorn und Getränke aufgibt. Den Ein-Liter-Becher Cola gibt es für die Kinder nicht. Mattke stimmt ihr zu: »Die wenigsten Kunden beschweren sich über zu kleine Getränke im Kino.« Im Gegenteil, beim Aufräumen stoßen die Mitarbeiter immer wieder auf nicht ganz leergetrunkene Becher.

Kann man im Kino dabei einen Trend zu mehr Vermüllung feststellen? Bohl verneint, die Mitarbeiter machen aber eine andere Erfahrung: Es liegt am Film, wie viel Müll danach im Kinosaal ist. »Wenn nach einer Vorführung eines bestimmten Filmes viel Müll auf dem Boden liegt, dann meist auch bei allen anderen Vorführungen dieses Films.« Natürlich liegt das nicht an dem Film selbst, sondern an dem unterschiedlichen Publikum, das die »Streifen« anziehen. Nach dem Historienfilm Downtown Abbey müsse nicht soviel gereinigt werden, wie nach einem Film, der bei Kindern beliebter sei. »Die stoßen einfach öfter Popcorn um.«

Das stammt aus einem Hinterraum, der hauseigenen Popcorn-Küche des Kinopolis. Dort, wo es immer nach frisch gepopptem Mais riecht, ist Marie Mücke bereits seit 10 Uhr an der Arbeit, acht Stunden dauert ihre Schicht: »Sechs Stunden wird gekocht, zwei Stunden geputzt.« Mücke füllt die Mais-Körner und das Zucker in die Maschine, stellt die Temperatur ein, gibt im richtigen Moment das Öl hinzu und dann beginnt es zu poppen und das gelbe Kino-Gold fliegt aus einer Klappe auf ein Gitter. Dabei sollen die nicht gepoppten Maiskörner durch Löcher im Gitter fallen, damit sie nicht in der Tüte des Kunden landen.

Dreimal die Woche wird in der Popcorn-Küche Acht-Kilo-Sack um Acht-Kilo-Sack gefüllt. »Je nachdem wie viel los ist, wird auch am Wochenende nochmal Popcorn gemacht.« Langt man als Mitarbeiterin in der Popcornküche dann auch selbst öfter mal zu? »Geht nicht aus Hygienegründen«, sagt Mücke, die deswegen auch einen Kittel, Haarnetz und Maske trägt. Die Mitarbeiter dürfen sich aber auch so Popcorn mitnehmen. »Gerade wenn man neu ist, macht man das dann auch öfter«, sagt die Mitarbeiterin und lacht.

Raus aus der Popcorn-Küche, rein in den Vorführraum. Davor führt Kinobetreiber Enrico Sinner aber erst einmal in ein Büro mit einem Computerarbeitsplatz, mehreren Bildschirmen und einem Regal in dem mehrere Server stehen. Sinner sagt: »In den eigentlichen Vorführraum geht normalerweise niemand mehr, außer es gibt ein Problem.« Im Kino von heute ist alles digitalisiert.

Es werden keine Filmrollen mehr geliefert, auch keine Festplatten mehr, erklärt der technische Leiter Stephan Vogel. Die Filme werden stattdessen verschlüsselt aus dem Internet heruntergeladen. »Der neue Dr. Strange hat zum Beispiel 200 Gigabyte. Das Kino hat deswegen einen Glasfaser-Anschluss.« Filme und Werbung müssen auch nicht von einem Mitarbeiter per Mausklick gestartet werden. »Alles ist vorprogrammiert«, sagt Sinner.

Glasfaser für die Filmdownloads

Und wie sieht es jetzt im Vorführraum aus? Vogel weist den Weg durch verwinkelte Gänge oberhalb der Kinosäle, vorbei an Rohrleitungen durch die Dunkelheit bis zu einem Vorführgerät. Der Projektor steht auf einem eigenen Computer, hat seinen eigenen Luftabzug und ist fast schulterhoch. Und die Soundanlage daneben ist noch einmal genauso groß. Für großes Kino werden heute also auch große Maschinen eingesetzt.

Der Vorführraum wirkt aber fast ein bisschen langweilig. Da sitzt kein Vorführer, der im Notfall das gerissene Band wieder klebt oder im richtigen Moment die Filmrollen wechselt. Niemand der von einem erhöhten, ganz besonderen, Platz aus, Film und Publikum betrachtet. Der Ort, wo die Kino-Magie passiert, ist ziemlich unmagisch. Beim Weg zurück zeigt Vogel aber noch auf eine Ablage: Dort liegen Lederschürze, Handschuhe und Schutzbrille. »Beim Wechseln der Birne kann es auch mal knallen«, sagt Vogel. Eine Art von Action auf die der Kino-Mitarbeiter verzichten kann.

Die gefragten Angestellten sind übrigens alle große Filmfans. Mücke sagt: »Es gibt sogar extra Mitarbeitervorführungen, da gehen wir dann alle zusammen hin.« Und Mattke sagt: »Im Gegensatz zum Publikum sind bei uns aber die Nachos beliebter als das Popcorn.« Vielleicht sollten eingeschworene Popcorn-Fans denen beim nächsten Besuch mal eine Chance geben.

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seg_popcorn_140522_4c © Oliver Schepp
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seg_projektor_140522_4c © Oliver Schepp

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