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Hilferuf aus der freien Kulturszene Gießen

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Von: Karola Schepp

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Im Europaviertel fallen spätestens 2024 die Probenräume der Kulturinitiative weg. Die Stadt habe generell keine Strategie für den ohnehin nötigen Ausbau des Probenraumangebotes entwickelt, kritisiert die Interessenvertretung der Freien Kulturszene. © Oliver Schepp

Corona-Auswirkungen, Energiekosten, Zurückhaltung des Publikums: Die freie Kulturszene hat es in diesen Zeiten nicht leicht. In einem Positionspapier hatten deren Akteure vor der Kommunalwahl Forderungen an die Stadtpolitik formuliert. Nun zogen sie Zwischenbilanz - und die fällt durchwachsen aus.

Gießen - Vorhanden«, »ausbaufähig«, »nicht umgesetzt« - solche Bewertungen vergibt der Arbeitskreis Interessenvertretung in der Freien Kulturszene Gießen aktuell der Stadtpolitik. In einem Pressegespräch erläuterten einige ihrer Vertreter nun, warum sie zu ihrem, im Ganzen eher mittelprächtigen Urteil kommen, was sie sich erhoffen und wo genau die Probleme liegen. Anwesend waren Kulturkirchenintendant Christoph Handrack, Anna Bühne vom ZiBB, Jan Buck von der Urbanautik, Lukas Richter und Thomas Stolp vom KiG, Frank Rühl vom Improvisors Pool sowie Alex Vasil von der Nachttanzdemo.

Dass die grün-rot-rote Koalition im Rathaus ein klares Bekenntnis zu Kultur nicht nur in Sonntagsreden ablege, sondern etwa mit dem geplanten Kulturgewerbehof auch tatsächlich etwas tue sowie beim Nachtleben einiges in Bewegung gerate, kommt bei den Akteuren gut an. Auch wenn schon jetzt klar sei, dass der Kulturgewerbehof in der Steinstraße den Bedarf nicht decken kann.

Auch die mobile StadtRaumBühne wird grundsätzlich begrüßt, allerdings hoffen die Akteure hier auf eine Vereinfachung des Zugangs zur Stromversorgung und veränderte Mietbedingungen. Ohne entsprechendes Netzwerk (Toilette, Stuhllager, hohe Kosten für Elektrikereinsatz) sei die nicht ausreichend zu nutzen. Vor allem fehlten aber Möglichkeiten, davon unabhängig öffentliche Auftritte zu machen. Und vor allem hoffe man, dass nach dem Wegfall der Festivalfläche im Schiffenberger Tal die Stadt eine andere Open-Air-Fläche organisieren könne.

100 Probenräume drohen wegzufallen

Ein massives Problem stelle der absehbare Wegfall von Bandprobenräumen der Kulturinitiative KiG dar. Wie berichtet, steht der Mikrokosmos der lokalen Musikszene im Europaviertel vor dem Aus. Die beiden angemieteten Gebäude sollen saniert werden, Ende 2024 muss der Verein ausziehen. 100 Probenräume würden so wegfallen. Ersatzräume seien kaum zu finden, eine Verteilung auf mehrere Standorte aus Synergieffekten und wegen der Verwaltung schwierig und ein Neubau nicht zu finanzieren, betonten Richter und Stolp. Gleichzeitig sei die Warteliste lang und die Stadt habe keine Strategie für einen Ausbau des Angebots erarbeitet, das in Gießen früher eine lebendige und auch bundesweit erfolgreiche Szene hervorgebracht habe.

Wichtig sei auch, dass Proben- und Veranstaltungsräume an den Rändern Gießens mit Fahrrad oder (Nacht-)Bus besser angebunden würden. Dies sei von der Koalition noch immer nicht umgesetzt. Zudem benötige die freie Kulturszene, die meist in älteren Gebäuden ihre Domizile habe, Hilfe bei der Verbesserung der Barrierefreiheit. Hier fehle ein eigener städtischer Fördertopf.

Kritik gibt es auch an der bisherigen Praxis städtischer Kulturförderung, die zu sehr projektbezogen sei. Zudem solle die Stadt verstärkt als Initiatorin von Kooperationen auf Augenhöhe zwischen freier Kulturszene und großen Kulturinstitutionen auftreten und, etwa durch die Einrichtung eines Jugendparlaments oder Studierendenbeirats, das Problem der »mangelnden Repräsentanz der jungen Generation im Parlament« angehen.

Ruhezeiten anders definieren

Auch wenn nach Beschluss des Stadtparlaments die Vorbereitung eines Weiterentwicklungsvorschlags zum Vergnügungsstättenkonzept aufgenommen worden sei und die Umfrage des Kulturamts zum Nachtleben in Gießen sowie die Planung einer Kulturnacht begrüßt werden, kritisieren die Kulturakteure die aktuelle Ordnungspolitik der Stadt. Sie fordern eine »Kultur schätzende Anpassung des Umgangs mit Lärmschutzthematiken« - »Wir müssen Ruhezeiten anders definieren« - und eine niedrigschwellige und vor allem transparente Form der Online-Meldung von Veranstaltungen.

In erster Linie wollen sie rechtlich geklärt haben, wie Veranstaltungen grundsätzlich gemeldet werden müssen. Bislang müsse auch in bestehenden Kulturzentren jede einzelne Veranstaltung mitgeteilt werden, rechtliche Vorgaben oder Auflagen erfahre man zuweilen erst kurz vor Beginn - auch wegen Arbeitsüberlastung im Ordnungsamt. Hier müsse eine klar formulierte, in mehreren Sprachen verständliche Vorlage zur Verfügung gestellt werden.

Auch mit dem auf giessen.de vorhandenen Veranstaltungskalender ist man unzufrieden. Diese »monopolistische Lösung« sei nicht zielführend und das Meldeverfahren zu kompliziert. »Nun liegt der Ball bei der Stadt«, antwortet Jan Buck auf die Frage, was denn nun konkret mit allen Forderungen der Kulturakteure geschehen solle.

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