Herodes hat wieder die Ratte als Maskottchen

Gießen (dkl). Ein Weihnachtsspiel ohne Maria und Josef, ohne Christuskind - wie geht das? Klar, der neugeborene König spielt eine wichtige Rolle in dem Stück, aber es wird eben nur über ihn gesprochen. Der Heiland ist nicht zu sehen, aber alle suchen ihn. Und projizieren ihre Hoffnungen und Befürchtungen auf ihn. Davon lebt das Stück, das der Schweizer Autor Hanns Wagner anno 1561 mit angesehenen Kollegen und Vertretern des Stadtrats von Solothurn zur Aufführung brachte.
Damit ist klar, wir sind in der Reformationszeit. Theaterstücke des 16. Jahrhunderts sind vor dieser Folie zu lesen und verhandeln die Religionsstreitigkeiten dieser Zeit. Die Situation in der Schweiz war in diesem Moment folgende: Die Reformierten hatten den Krieg verloren, Zwingli war tot, Solothurn schlug sich wieder auf die katholische Seite. Darüber wird ein bemerkenswertes Detail des Dreikönigsspiels verständlich: der Hinweis auf die Bücherverbrennung des Herodes ist zu lesen als Kritik am Bildersturm der Reformation.
Das alles und noch mehr ist nachzulesen in der Broschüre, die Prof. Cora Dietl und ihr studentisches Team von der Uni-Germanistik zu ihrer Weihnachtsinszenierung herausgegeben haben. Das Weihnachtsspiel ist längst zum beliebten Ritual der Vorweihnachtszeit in Gießen geworden und hat seine Fan-Gemeinde. Über all die Jahre haben die studentischen Mitspieler gewechselt, doch kehren einige auch mal zurück. So ist Melissa Heerz wieder dabei und trägt mit ihrer kräftigen und klaren Sopranstimme wesentlich zum Gelingen bei. Und Swantje Luhn gibt den König mit dem Maskottchen Ratte als Kragenschmuck.
Die Geschichte beginnt im Orient, wo der leuchtende Stern entdeckt wird. Autor Hanns Wagner gibt den drei Königen noch Sterndeuter zur Seite, die alle gemeinsam nach Judäa ziehen. Die große Schar der Begleitpersonen und Tiere müssen geneigte Zuschauer sich natürlich denken. Nach der langen Reise angekommen, fragen die Reisenden zwei Bürger von Jerusalem, wo der neugeborene König der Könige zu finden sei. Diese wundern sich, wollen ihnen aber helfen. Sicherheitshalber berichten sie auch ihrem König Herodes davon. Dieser wird misstrauisch und zitiert seine Schriftgelehrten herbei. Da die Vorhersage lautet, dass der Messias kommt, wenn Judäa unter die Herrschaft Roms geraten ist, muss es wohl der richtige Zeitpunkt sein.
Herodes gibt sich noch freundlich und schickt die orientalischen Könige nach Bethlehem, bittet um Berichterstattung. Doch kaum sind die Drei losgezogen ergeht er sich in Tiraden und benennt seine Mordlust. Hier bricht die Erzählung ab, der Kindermord von Bethlehem bleibt dem Publikum erspart. Der Narr hat noch seinen großen Auftritt und entlarvt das heuchlerische Spiel Herodes’ im frühneuzeitlichen Sprachduktus. Überzeugend gespielt von Michael Eberle, der seinen Tiroler Zungenschlag gut einsetzt. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass der Autor Hanns Wagner sich an der Tradition der Fastnachtspiele orientiert hat. Und die waren kurz und knackig.
Premiere ist am heutigen Samstag (3. Dezember) in der Hospitalkirche Grünberg um 16 Uhr. Die Aufführung in Gießen folgt am Montag, 12. Dezember, um 18 Uhr, in der Pankratiuskapelle. Der Eintritt ist jeweils frei.