Heilung durch Maßhalten
Woran leiden Sie derzeit am meisten? Vielleicht an den Folgen der Pandemie, oder an den Sorgen um das Klima, oder um den Weltfrieden? Unheilvolle Situationen wollen geheilt werden. Meistens müssen wir hierfür einen Gang runterschalten und etwas reduzieren. Bei der Pandemie sind es die Kontakte und die körperliche Nähe, um das Infektionsrisiko zu vermindern.
Wegen des Ukrainekrieges müssen wir jetzt unseren Energiekonsum reduzieren, bewusster schauen, was nötig ist und was nicht. Das kommt auch dem Klima zugute, und man könnte sich fragen, warum die Energiesparmaßnahmen nicht auch ohne einen Krieg längst möglich waren.
Natürlich ist nicht alles mit Sich-Einschränken und Maßhalten zu heilen, aber es sind wesentliche Verhaltensbausteine, die derzeit sichtbar lebensnotwendig sind, um die Not des Lebens zu wenden.
Es ist ein bisschen wie Fasten. Kontaktfasten, Stromfasten, Gasfasten, Benzinfasten, Wasserfasten und vieles mehr. Aber nicht so, dass wir radikal fasten, sondern in Maßen, einfach von allem weniger, damit das System überleben kann, damit wir alle überleben können. In ähnlicher Weise riet auch Hildegard von Bingen, deren Gedenktag heute begangen wird, im 12. Jahrhundert den Menschen zu einem bewussten, aber nicht radikalen Verzicht beim Heilfasten und generell zu einer sinnvollen und maßvollen Lebensführung, damit Heilung geschehen kann. Sie verknüpft das »Weniger« auf der Seite der Nahrungsaufnahme mit einem »Mehr« auf der Seite der »Konzentration nach Innen«. Dieses »Mehr« kann eine Wandlung meiner Sicht auf das, was wirklich wichtig ist, sein - eine Bewusstseinsschärfung, die mir hilft, im Alltag mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und mit dem göttlichen Urgrund von allem in besseren Einklang zu kommen. Denn der gesamte Kosmos ist nach Hildegard nur durch ein konsequent und bewusst gelebtes christliches Leben zu erhalten.
Dr. Juliane Reus
Referentin für Spiritualität im katholischen Bistum Mainz