Heftige Sommerwelle

Als tödliche Gefahr wird Corona von den meisten Menschen nicht mehr wahrgenommen, aber als lästiger Störfaktor eines Sommers, der doch so unbeschwert verlaufen sollte. Gegen Ende Juli indes füllt die Pandemie auch wieder die Kliniken: Über 100 Patienten sind es im Kreis Gießen. Und es wird auch wieder an und mit der Seuche gestorben. Teil 29 der Gießener Corona-Chronik.
samstag, 1. Juli: Die ersten Corona-Zahlen des Monats Juli sind da: Inzidenz bei 991, 391 Neuansteckungen binnen 24 Stunden und 45 Patienten in den Krankenhäusern des Landkreises.
Seit Corona steht das Kreisgesundheitsamt im Fokus - und wiederholt in der Kritik. In einem vertraulichen Gespräch erheben Mitarbeiter gegenüber der GAZ schwere Vorwürfe und berichten von Missmanagement, Überforderung und Mobbing. Ein Mitarbeiter spricht gar von »Krieg«. Einigen konkreten Vorwürfen widerspricht die Kreisverwaltung und verweist auf die Ausnahmesituation, in der sich die Behörde befunden habe. »Die Herausforderungen, Arbeitsbelastung und Dynamik der Situation waren zeitweise außerordentlich hoch«, heißt es in einer Stellungnahme.
Dienstag, 5. Juli: »Pohlheim macht auf« lautet das Format eines Festwochenendes, an dem die Stadt ihren coronagebeutelten Vereinen im wahrsten Sinne des Wortes Bühnen bieten will. Über 150 Vereine werden mitmachen.
Mittwoch, 6. Juli: Die neue Corona-Teststrategie mit der Kostenpflicht sorgt auch in Gießen für Verdruss. »Die Leute sind bereit, drei Euro zu bezahlen«, sagt Christian Betz, Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes Marburg-Gießen. Doch dass die Bundesregierung die neue Testverordnung »quasi über Nacht« in Kraft gesetzt hat, sorge für erhebliche Belastungen und Bürokratieaufwand vor Ort. Auch Landrätin Anita Schneider (SPD) ärgert sich: »Diese Kurzfristigkeit lässt uns keine Chance, uns ordentlich darauf einzustellen. Vieles ist nicht zu Ende gedacht.«
Samstag, 9. Juli: Stadtfeste in Gießen und Linden, Kultursommer auf dem Schiffenberg, Seefest in Inheiden, Heavy-Metal-Wochenende im Licher Waldschwimmbad: Fast kein Tag vergeht ohne Ankündigung großer Sommerevents. Nach zwei Jahren Zwangspause ist Corona bei den Veranstaltern allenfalls noch im Hinterkopf. »Wir denken einfach nicht dran«, heißt es aus Linden.
Mittwoch, 13. Juli: Das Studentenwerk hat heftig unter der Corona-Pandemie gelitten: 80 Prozent weniger Gäste, ein Viertel aller Mitarbeiter sind gegangen. Dies führt zu Beschwerden über ausgedünnte Angebote. Unter anderem mit der Wiederöffnung einiger Außenstellen während des Sommersemesters reagiert das Studentenwerk auf Vorschläge aus einer Umfrage mit 1000 Teilnehmern.
Samstag, 16. Juli: Die Inzidenz im Landkreis Gießen liegt längst wieder über der Marke von 1000 und ist einige Tage sogar die höchste in Hessen. Innerhalb von 24 Stunden stecken sich im Kreisgebiet fast 530 Menschen an, allein in Gießen sind es 140. Gemeldet werden die Todesfälle 418 und 419.
Samstag, 23. Juli: »Die Sommerwelle ist da« lautet die Überschrift einer ganzseitigen Anzeige des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert-Koch-Instituts in der GAZ. Im »Fakten-Booster« kommt auch Minister Karl Lauterbach zu Wort. Sein Rat: »Im Zweifel auch in Innenräumen freiwillig Maske tragen.«
Dienstag, 26. Juli: Es sind nicht viele, aber es gibt sie noch: Menschen, die sich 19 Monate nach Beginn der Impfkampagne im Landkreis Gießen zur Erstimpfung entschließen. 63 »Erstimpflinge« waren es in der Vorwoche, insgesamt wurden fast 500 Impfungen durchgeführt, 400 waren Boosterimpfungen.
Mittwoch, 27. Juli: Bei einer Pressekonferenz schildern Vertreter des städtischen Schulverwaltungsamts und der gemeinnützigen Fördergesellschaft schule@giessen.de bedrückende Folgen von Corona bei Kindern und Jugendlichen. »Die Kinder trauen sich nicht mehr raus zum Bäcker oder zum Einkaufen, erzählen uns Eltern«, berichtet Stadtmitarbeiterin Sabine Jörren. Bei den Projekten, die aus dem Bundesprogramm »Aufholen nach Corona« finanziert werden, steht das soziale Lernen im Vordergrund.
Donnerstag, 28. Juli: Paukenschlag am Universitätsklinikum: In einem Mitarbeiterbrief teilen die Ärztlichen und Kaufmännischen Geschäftsführer des Standort Gießens mit, dass aufgrund der angespannten Personallage auch positiv auf Corona getestete Mitarbeiter, die sich für arbeitsfähig erklären, eingesetzt werden. Grundlage der Entscheidung ist ein Landeserlass, der das bei gravierenden Personalengpässen in den Krankenhäusern ermöglicht.
Im Landkreis Gießen gibt es den 420. Todesfall seit Ausbruch der Pandemie im März 2020. Es ist der sechste Corona-Tote im Juli, im Juni gab es nur einen Fall.
Freitag, 29. Juli: Die Entscheidung des Uniklinikums, positiv auf Corona getestete Mitarbeiter auch in der Patientenversorgung einzusetzen, sorgt über Mittelhessen hinaus für einen Riesenwirbel. In der Belegschaft sorgt die Ankündigung für Unruhe, die Gewerkschaft übt Kritik. Der Ärztliche Geschäftsführer Prof. Werner Seeger verteidigt die Maßnahme und spricht von einem »nie da gewesenen Personalausfall«, der das Klinikum zu einer »Risikoabwägung« gezwungen habe. Von der Absicht, infiziertes Personal am Patienten einzusetzen, rückt das UKGM tags darauf ab. Derweil grassiert das Virus in Stadt und Land: Allein in Gießen haben sich binnen einer Woche über 900 Personen angesteckt.
Samstag, 30. Juli: Die Zahl der Corona-Patienten in den Krankenhäusern im Kreis Gießen kratzt gegen Monatsende an der 100, gegenüber Ende Juni ist das eine Verdoppelung. Ergebnis auch einer gleichbleibend hohen Inzidenz, die Ende Juli erstmals seit vier Wochen aber knapp unter die 1000er-Marke fällt.