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»Heb dir deine Tränen für die Zwiebeln auf!

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Sprecherin Jessica Higgins verleiht den Figuren einen intensiven Ausdruck. © Heiner Schultz

Gießen (kdw). Immer eine Wohltat sind die Abende unter dem Motto »Storys, Wein, Musik«, die Christoph Jilo veranstaltet. Er sucht regelmäßig sehr lesens- und hörenswerte Geschichten heraus, die dann im »Who killed the pig« von kundigen Sprechern vorgetragen werden. Als Zusatzwohltat kommt auch etwas Musik hinzu, diesmal von Vassily Dück am Akkordeon.

Den Wein holen sich die Besucher im ausverkauften Saal dann selbst.

Auch diesmal war das Haus ausverkauft. Als Sprecherin für »Du liebst mich nicht« (unter dieser Überschrift stand der Abend) hatte Jilo die Schauspielerin Jessica Higgins (*1976) ausgesucht. Sie arbeitet als Hörspiel- und Synchronsprecherin und tritt auf vielen deutschen Bühnen auf. Zudem spielte sie in David Cronenbergs »Dunkle Begierde« in der ersten Filmgarde mit und war in TV-Serien zu sehen.

Den niveauvollen musikalischen Hintergrund gestaltete Vassily Dück am Akkordeon. Der Diplom-Musikpädagoge ist an renommierten Häusern wie der Oper Frankfurt, dem Schlossparktheater Berlin und der Alten Oper Frankfurt tätig. In der Gießener Region trat er im Duo »Schachmatt« mit dem Geiger Robert Varady auf. Den Anfang machte Jörg Fausers Geschichte »Du liebst mich nicht«. Die schildert sehr direkt, wie ein Mann das gemeinsame Heim mit der Freundin verlässt, weil sie schlechte Laune hat und er ihr rau hinterherruft, »Heb dir deine Tränen für die Zwiebeln auf«, ein Beispiel für den robusten Humor der Story. Schon erheblich komplexer und auch länger war Ottessa Moshfeghs »Mr. Wu«, die Geschichte eines sehr merkwürdigen Herrn, der sich in eine Frau in einer Spielhalle verliebt - glaubt er jedenfalls. Er ist von zahlreichen Aggressionen gegen sich selbst geplagt (»Ein bisschen Selbsthass fand er manchmal auch positiv«). Hier läuft Higgins zu bester Form auf und realisiert noch viel mehr Merkwürdigkeiten und Neurosen Mr. Wus mit souveräner, fast freundlicher Sachlichkeit. Faszinierend, wie die preisgekrönte Autorin ihre Figur zwischen entflammter Liebe und unverhofften Selbstzweifeln wanken lässt. Raffiniert konstruiert, unterhält die Story mit vielen Überraschungen und Wendungen.

Zum Abschluss Charles Bukowskis »Ein teuflischer Weiberheld«, eine elegant formulierte Geschichte, in der der Teufel sich ins Leben des Erzählers reindrückt und die Kontrolle übernimmt. Verblüffend, wie kompetent der Autor das zwischen echtem (leichtem) Gruseln und witzigen Szenen changieren lässt - und äußerst kurzweilig.

Genau wie der ganze Abend, der durch Jessica Higgins’ souveränen Vortrag besonders dicht wurde. Vassily Dück rundete das Ganze sehr gekonnt und sensibel mit teils solistisch verzierter französischer Chansonkost oder Popsongs ab. Sehr intensiv, einer der besten Abende der an Glanzlichtern reichen Reihe.

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