1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Handel, Handwerk, Hightech

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Christoph Hoffmann

Kommentare

chh_labor_110522_4c_1
chh_labor_110522_4c_1 © Oliver Schepp

Arbeit ist das halbe Leben. Das sagt nicht nur der Volksmund. Zieht man den Schlaf ab, verbringen viele Gießener die Hälfte ihrer Zeit im Büro, dem Labor oder in der Werkstatt. Der Beruf ist zentraler Bestandteil des Lebens. Diesem Umstand wollen wir mit einer neuen Serie Rechnung tragen und aufzeigen, welche Jobmöglichkeiten es in Gießen gibt.

Die großen und kleinen »Geschäfte« der Gießener wurden früher von den Schlammbeisern entsorgt. Mit ihren langen gebogenen Eisen holten die Männer die Kübel hervor, in denen sich die Notdurft der Bürger sammelte. Nicht gerade ein Traumjob, aber irgendjemand musste ihn ja machen. Heute werden die Fäkalien nicht mehr über Holzrohre an den Hauswänden entsorgt, sondern über die Kanalisation. Den Spitznamen »Schlammbeiser« tragen dennoch viele Gießener mit Stolz - auch wenn sie froh sein dürften, ihr Geld auf andere Weise zu verdienen. Zum Beispiel als Ärztin am Uniklinikum, als Verkäufer im Seltersweg, als Redakteurin einer Tageszeitung oder als Biologe in einem der unzähligen Labore.

Der Standort Gießen ist durch einen breiten Branchenmix geprägt, dementsprechend vielseitig sind die Arbeitsmöglichkeiten. Dank der Fußgängerzone mit der Flaniermeile Seltersweg nimmt der Handel in der lokalen Wirtschaft eine zentrale Rolle ein. Markus Pfeffer, der Geschäftsführer des BID Seltersweg, spricht von gut 100 Ladengeschäften zwischen Elefantenklo und Kaplansgasse. »Hinzukommen noch etliche Dienstleister und Handwerker wie Ärzte, Friseure, Bäcker oder Goldschmiede.« Betrachte man die gesamte Innenstadt, sagt Pfeffer, kämen schnell über 2000 Arbeitsplätze zusammen.

Noch immer strömen jeden Tag etliche Menschen in die Fußgängerzone. Die Frequenz hat vor allem durch die Konkurrenz aus dem Internet jedoch deutlich abgenommen. Was für den stationären Einzelhandel einer Katastrophe gleichkommt, ist für Onlinehändler eine goldene Zeit. Das bekommt auch Gießen zu spüren. Europas größter Online-Modehändler Zalando baut im ehemaligen US-Depot gerade ein Versandzentrum, rund 1700 Arbeitsplätze sollen entstehen. Ohnehin ist die Logistikbranche im Osten der Stadt auf dem Vormarsch. Aber nicht nur die: Mit dem Bioscientia-Labor, in dem jeden Tag Tausende Proben auf Corona untersucht werden, ist auch ein Vertreter der Biotechnologie auf dem US-Depot vertreten und sucht regelmäßig neue Mitarbeiter.

Dabei liegt das Epizentrum der Gießener Biotec-Branche auf einer anderen städtischen Konversionsfläche. Mitte der 90er Jahre wurde die Steubenkaserne zum Gewerbegebiet Europaviertel. Dabei war es das erklärte Ziel der Stadt, einen Technologiestandort zu schaffen, der maßgeblich zum Strukturwandel beitragen sollte. Seither haben sich rund um die Versailler Straße vor allem Unternehmen aus der Pharma- und Biotechnologie-Branche angesiedelt, zum Beispiel Milenia Biotec, Alcedis und natürlich Pascoe. Das Naturmedizin-Unternehmen wurde mehrfach zu einem der besten Arbeitgeber Deutschlands gewählt.

Dass im Europaviertel zudem viele kleine, aufstrebende Firmen zu finden sind, ist auch dem dort ansässigen Technologie- und Innovationszentrum zu verdanken. Fast 400 Start-ups haben von der Gründer-Schmiede Anschub erhalten.

Motor vieler Existenzgründungen in der Stadt sind die beiden Hochschulen THM und JLU. Die Justus-Liebig-Universität ist mit rund 5700 Beschäftigten nach dem UKGM (9650) nicht nur zweitgrößter Arbeitgeber der Stadt, sondern wegen der gut ausgebildeten Absolventen und Kooperationsmöglichkeiten auch ein entscheidendes Argument für auswärtige Unternehmen, sich in Gießen anzusiedeln.

In der Stadt über 50 000 Arbeitsplätze

Diese und viele weitere Branchen tragen dazu bei, dass im Stadtgebiet laut statistischem Bundesamt über 52 000 Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Laut Agentur für Arbeit entfallen über 18 000 auf den Sektor Gesundheit und Erziehung, 12 000 auf Dienstleistungen und 7000 auf den Handel. Gut 37 000 Menschen pendeln jeden Tag nach Gießen, andersherum sind es über 17 000.

In Gießen gibt es also eine ganze Bandbreite an Arbeitsmöglichkeiten. Einige davon wollen wir in der neuen Serie »Geschafft« vorstellen. Das müssen nicht immer Traumberufe sein. Der Schlammbeiser beweist: Auch unbeliebte Jobs haben das Zeug dazu, ein Denkmal zu erhalten.

chh_arbeit_120522_4c
chh_arbeit_120522_4c © Red
chh_lkw_120522_4c
chh_lkw_120522_4c © Christoph Hoffmann

Auch interessant

Kommentare