Guter Rat für jedes Rad

Ankunft mit Reifenplatten, Abfahrt mit rollendem Rad und einem Strahlen. Für manche Probleme gibt es einfache Lösungen. Diese Erkenntnis, aber auch das Retten von scheinbar schrottreifen Schätzen macht den Charme der »Radschmiede« aus.
Der Mantel ist ab. Nun sucht Hanna das Loch im Schlauch. »Kommst du klar?«, fragt Susanna Flecken. »Ich habe kein Werkzeug und keine Ahnung«, erklärt die Studentin, »aber ich will lernen, wie ich mein Rad selbst reparieren kann. Das ist ja auch finanziell sinnvoll.« In der »Radschmiede« ist sie richtig. Schon seit fast zehn Jahren leisten Ehrenamtliche Hilfe zur Selbsthilfe.
Jeden Mittwoch zwischen 18.30 und 21 Uhr wird der Hof und der Erdgeschossraum der »Alten Kupferschmiede« im Tiefenweg zur Fahrradwerkstatt. Vor Corona kamen bis zu 40 Interessierte. Sie erhalten gute Ratschläge, das geeignete Werkzeug und die manchmal so hilfreiche dritte und vierte Hand. Neben Studierenden gehören technikbegeisterte Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Jugendliche zu den Nutzern. Jeder entscheidet selbst, ob und wie viel Geld er in die Spendenkasse wirft oder vielleicht einen Kuchen mitbringt.
Die Wurzeln liegen in der »Free-School«-Idee. Fahrradbegeisterte wollten ihr Wissen weitergeben, Brauchbares reparieren, Menschen mit wenig Geld helfen. »Wir haben zu dritt angefangen mit einer Tischtennisplatte und einer Kiste Werkzeug bei der ›Kümmerei‹ in der Schanzenstraße«, erinnert sich Stefan Wagner. Das Angebot sprach sich schnell herum, und aus »Stammgästen« wie Clemens Thölken wuchs bald eine feste Gruppe zusammen.
Liebe zum Fahrrad als Motivation
Nach zwei Jahren Coronapause startet die Radschmiede jetzt neu durch, und zwar auf etwas offiziellerer Basis. Ende 2021 haben die Aktiven einen Verein gegründet. Das erleichtert die Öffentlichkeitsarbeit und das Abschließen von Mietverträgen, erklärt Markus Herzig. Denn ein eigenes Domizil steht ganz oben auf der Wunschliste. Bisher nutzt die Gruppe als Untermieter Räume von Kulturinitiativen. Langfristig indes besteht der Wunsch nach einem großen, zentral gelegenen Werkstattraum, der mit anderen Initiativen wie dem Lastenradverleih Allrad geteilt werden kann.
Die Radschmiede ist kein Dienstleister, bei dem man Räder abgeben kann, und konkurriert nicht mit gewerblichen Werkstätten. Diese kümmern sich sowieso meist ungern um heruntergekommen wirkende »Bahnhofsräder«. »Wir nehmen jedes Rad ernst.«
Michael Fink ist der einzige gelernte Fahrradmechaniker in der Gruppe. Die anderen sind berufstätig, etwa als Informatiker, Lehrer, Heilpädagoge oder Feinmechaniker, einige studieren. Fragt man sie nach ihrer Motivation, dann leuchtet in einigen Augen etwas auf, das sich als Freude am, ja: Liebe zum Fahrrad entpuppt. Neues lernen an historischen Modellen! Mit Gleichgesinnten quatschen über Kurbelabzieher oder Kettennietdrücker! Bei Laien »Erstbegeisterung« fürs Schrauben wecken!
Der Nachhaltigkeitsgedanke ist ebenfalls wichtig: »Räder retten, obwohl es sich nicht ›lohnt‹.« Und die soziale Seite spielt ebenfalls eine große Rolle. »Ich freue mich besonders, wenn ich Frauen etwas zeigen kann. Sie trauen sich oft wenig zu«, sagt Susanna Flecken, derzeit die einzige weibliche Ehrenamtliche. Für viele ist die Handarbeit und Beratung ein schöner Ausgleich zum Bürojob oder zum Beruf ohne Kundenkontakt.
Größter Wunsch: Ein zentraler Raum
Nicht zuletzt versüßen die vielen »kleinen Glücksmomente« die mindestens drei Stunden Ehrenamt pro Woche. Die Welt ist so kompliziert, doch beim Fahrrad gibt es sie wirklich - ganz einfache Lösungen für drängende Probleme. Die Gäste kommen mit einem Platten oder einer schleifenden Bremse; auf einem funktionierenden Rad rollen sie strahlend vom Hof. So auch Hanna, die auf einem verkehrstüchtigen Fahrrad nach Hause zurückkehrt.
Die Radschmiede freut sich stets über Geldspenden. Nur nach Absprache willkommen sind Sachspenden - etwa Schläuche oder andere Verschleißteile in gutem Zustand.
Informationen findet man unter www.radschmie.de, Aktuelles bei Instagram unter @radschmiede_ev.