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Glaube, Hoffnung, Liebe

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Lebensfreude sieht mich aus den großen braunen Augen der jungen Frau an. Die Überschrift unter dem Foto macht klar, dass die Iranerin, die sich stolz ohne Kopftuch zeigt, vermisst wird. Ich blättere weiter. Ein Kind, geboren in den Wirren der ersten Kriegstage in einem Keller in Kiew, wird ein halbes Jahr alt. Heute lese ich, wie fast täglich, dass wieder und immer noch Bomben ihr tödliches Ziel finden, in der Ukraine wie auch an vielen ungenannten Orten.

Der Blick in die Welt nimmt mir schier den Atem. Zu sehen, was Menschen Menschen antun, ganz zu schweigen von dem, was wir unserem Planeten zumuten, lässt mich an manchen Tagen verzweifeln.

Da fällt mir ein anderes Bild ins Auge. Inmitten eines ruhigen Sees steht ein Mann auf dem Wasser. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich das Surfbrett, das ihn trägt. Auf dem Bug sitzt ein Kind und lässt die Beine ins Wasser baumeln. Eine lange Stange scheint dem Mann Halt und Anstoß auf dem Grund zu sein, während sein Blick in die Ferne geht. Mit jedem Atemzug tanke ich die Ruhe auf, die in dieser Szene liegt. Natürlich weiß ich, dass es die Verdrängung des Wassers ist, die das Brett des Mannes trägt, auf dem seine Füße Halt finden. Natürlich weiß ich, dass es nicht die Liebe zu seinem Kind ist, die es auf dem vermeintlichen Boot hält.

Und doch ist es genau das, was ich wahrnehme. Ich sehe Vertrauen darauf, getragen zu werden, Halt zu haben und zu finden und die Kraft, dem eigenen Treiben auf unsicherem Gewässer eine Richtung geben zu können. Ein Wort aus der Bibel fällt mir ein: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Eigentlich, denke ich, nur andere Worte für physikalische Gesetze wie Wasserverdrängung und Schwerkraft. Was mich beschwert, muss ich nicht verdrängen. Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe.

Doris Wirkner Ev. Dekanate Gießener Land

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