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Gießener Wurzeln, italienisches Herz

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Von: Katrin Hanitsch

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»Mein Herz fliegt immer höher als mein Verstand«, sagt die Ärztin, Influencerin und Mutter Dr. Judith Bildau über sich selbst. © Red

Judith Bildau ist Gynäkologin. Sie ist aber auch noch so viel mehr: Mutter von zwei eigenen und drei Patchworktöchtern, eine der gefragtesten Influencerinnen zur Frauenheilkunde, Model und Autorin. Mitte September erscheint ihr zweites Buch, ein Ratgeber für Mädchen in der Pubertät.

Eigentlich ist Dr. Judith Bildau eine echte Gießenerin. Sie wurde hier geboren, hat ihr Abitur an der Ostschule gemacht. Sie hat an der Justus-Liebig-Universität studiert und in Gießen und Lich ihre Facharztausbildung gemacht, hat hier gearbeitet. Sie hat hier ihre Kinder zur Welt gebracht und hatte eine eigene Frauenarztpraxis am Marktplatz. Und doch hat sie der Stadt vor vier Jahren den Rücken gekehrt und ist mit ihrer Familie nach Italien gezogen.

Sie habe sich mit Gießen immer sehr verbunden gefühlt, erzählt Bildau. Sie habe hier tolle Ausbildungsmöglichkeiten gehabt, ihr Netzwerk aus Familie und Freunden. Gerade in ihrer Zeit als alleinerziehende Mutter in der Ausbildung sei Gießen als »mittelgroße Stadt genial« gewesen. »Das möchte ich keinen Tag missen.« Was sie aber vermisste, war eine Auslandserfahrung. Während andere in ihrem Alter ein Auslandssemester oder eine Weltreise gemacht haben, war sie immer in Gießen. »Dann war es so, dass ich 35 war, Kinder hatte, in der Praxis saß und dachte: Theoretisch geht das jetzt noch 30, 35 Jahre so, ich gucke immer auf den Marktplatz in Gießen. Das kann es noch nicht gewesen sein.«

Und so wagte sie den Schritt. Italien war für Bildau ein Sehnsuchtsort. Die Familie besaß ein Ferienhaus in der Toskana, hier feierte sie ihre Hochzeit. Die Sprache, die Lebensart, das Wetter, das Essen und Trinken - »Italien war immer ein Lebenstraum«, erzählt sie. Die Familie zog also nach Rom, wo die Töchter eine deutsche Schule besuchen und Italienisch lernen konnten. »Dann kam die Pandemie, das hat natürlich alles verändert.«

Bildau arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits für die italienische Gesundheitsbehörde. Auf dem Land waren die Ärzte knapp und so ist sie vor dem Corona-Ausbruch regelmäßig aus Rom raus und in die Toskana gefahren, um dort Patienten zu behandeln. Dann durfte sie wegen des harten Lockdowns nicht mehr hin und her fahren, musste in der Toskana bleiben. Da auch die Schulen geschlossen wurden, ist die ganze Familie in das Ferienhaus gezogen - und für zwei Jahre geblieben. Doch nun geht es - zumindest für die Werktage - zurück nach Rom.

Seit April hat die Gynäkologin ihre eigene Praxis, ein Gesundheitszentrum, in dem sie Menschen möglichst ganzheitlich versorgen möchte. Dafür hat sie sich Fachärzte und Therapeuten mit ins Boot geholt, die mit ihrer Spezialisierung dabei helfen, nicht nur einzelne Beschwerden der Patienten zu behandeln, sondern sie rundum zu versorgen. »Ich habe mir meine liebsten Kolleginnen und Kollegen rausgesucht.« Zusätzlich fährt sie auch andere Praxen in der Region an.

Ihr Fachwissen kommt aber nicht nur ihren Patienten zu Gute. Seit einigen Jahren ist Bildau gefragte Expertin in Podcasts zu gynäkologischen Themen. Sie habe den Wunsch verspürt, den teilweise falschen Aussagen in den sozialen Netzwerken fundiertes Wissen entgegenzusetzen, sagt sie. Nach ihren ersten entsprechenden Instagram-Posts erreichten sie Fragen, mit denen Mädchen und Frauen sich bei ihren Ärzten nicht gut aufgehoben fühlten. Schließlich warb die Journalistin und Bloggerin Dorothee Dahinden sie für ihre Webseite mutterkutter.de als Expertin an. »Das war der Gamechanger«, sagt Bildau. Seither wird sie immer wieder in Podcasts eingeladen. »Das mache ich extrem gerne, weil man damit viele Menschen erreichen kann.«

In ihrem Instagram-Account zeigt sie, was ihr wichtig ist: medizinische Themen, aber auch Fotos von ihrem Leben in der Toskana. Dass dabei auch mal ein Filter zum Einsatz kommt, findet sie okay. »Ich bin ja auch ein Mensch und habe keine Lust, dass alles, was im World Wide Web kursiert, meine Augenringe sind«, sagt sie dazu. Sie versuche aber auch, unschöne Seiten und schwierige Zeiten zu dokumentieren. Und: »Ich weise auch immer wieder darauf hin, dass Instagram niemals die richtige Welt und das richtige Leben ist.« Es sei immer eine Gratwanderung, Dinge zwar einerseits authentisch zu zeigen, andererseits aber auch Grenzen zu wahren, seien es die eigenen oder die ihrer Familie. »Das ist manchmal total schwierig und es gelingt mir bestimmt nicht immer«, sagt sie selbstkritisch. Als Model arbeite sie seit der Pandemie nur noch sehr selten, sagt Bildau. Doch da sind ja auch noch eine Menge anderer Aufgaben. Die Frage, wie sie das alles managed - Ärztin, Mutter, Expertin, Autorin -, will sie nicht gelten lassen. »Das sind ja meine Themen, mit denen ich jeden Tag arbeite, ich muss mich da nicht stundenlang darauf vorbereiten«, winkt sie ab. Würde sich jeder eine Liste mit all den Dingen machen, die er im Laufe seines Lebens tut, käme bei allen eine Menge zusammen, ist sie sicher.

Auch als Ärztin hat Bildau in Italien ihr Glück gefunden. Sie sei dankbar, dass sie nicht mehr jeden Tag 30, 40 Patienten durch die Behandlung schleusen muss. »Man geht abends aus der Praxis und fühlt sich selbst wie getreten - mir ging das zumindest so. Ich hatte immer das Gefühl, ich bin nichts und niemandem wirklich gerecht geworden.« Mit der Mischung aus dem Behandeln von Patienten in ihrem Gesundheitszentrum und in anderen Praxen und der Arbeit als Influencerin sei ihr Beruf inzwischen so vielfältig geworden, dass sie dieses Gefühl von damals heute nicht mehr hat. Ihre Zeit kann sie sich heute selbst einteilen. »Ich bin froh, dass ich aus dieser Spirale ausgestiegen bin.«

Dass sie nun ein Buch zur Pubertät geschrieben hat, kommt nicht von ungefähr. Sie sei mit Ende 20 Patchwork-Mutter dreier Mädchen geworden, die dann in die Pubertät kamen. Inzwischen haben auch ihre eigenen Töchter das entsprechende Alter erreicht. Dazu kommt die Erinnerung an ihre eigene Jugend mit den vier Schwestern. »Wir waren alle in der Pubertät echt hart«, sagt sie zurückblickend und aus heutiger Sicht mit viel Verständnis für ihre Mutter und ihre Stiefmutter. Das Interesse an diesem Thema sei also »absolut persönlich gefärbt«.

Dass sie eines Tages nach Gießen zurückkehrt, kann sie sich nicht vorstellen. Sie und ihre Familie haben sich in Italien ein neues Leben aufgebaut, die Kinder »sind jetzt so italienisch«.

Die Gießenerin ist also jetzt Italienerin. Ganz muss die Stadt sie aber nicht aus den Augen verlieren, dank Instagram kann man ihren Weg verfolgen. Wer weiß, vielleicht schaut sich Dr. Judith Bildau ab und zu auch mal ein Bild vom Gießener Marktplatz an.

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