Gießen: Verkehrsversuch verzögert sich weiter - Aktivisten stellen „Ultimatum“

Wann der heiß diskutierte Verkehrsversuch auf dem Gießener Innenstadtring starten wird, ist weiterhin ungewiss. Die Verkehrswende-Gruppen reagieren mit einem »Ultimatum« an die Stadt.
Gießen - Am 4. März wird es ein Jahr her sein, dass das Stadtparlament mit der Mehrheit von SPD, Grünen und der Gießener Linken die Durchführung von zwei Verkehrsversuchen mit separaten Spuren für den Rad- und Busverkehr auf dem Anlagenring sowie mit zwei Fahrradstraßen als Innenstadtachsen beschloss. Die beiden Fristen im Juni und September 2021, die die Mehrheit dem Magistrat damals für die Durchführung setzte, sind lange abgelaufen.
Vor diesem Hintergrund scheint die Geduld in den Reihen der Verkehrswende-Initiativen mit der neuen grün-rot-roten Koalition erschöpft zu sein. »Wir nehmen das nicht länger hin«, heißt es in einer Presseerklärung der Gruppen, die der Stadt ein »Ultimatum« bis Mitte Mai gesetzt haben, wenn in Gießen wieder das Stadtradeln startet. »Wir wollen keine Werbeveranstaltung, die nur verdeckt, dass die Stadt versagt! Stadtradeln ohne neue Fahrradstraßen ist Greenwashing einer fortgesetzten Betonpolitik«, heißt es in der Erklärung.
Für den 14. Mai als Starttag des Stadtradelns sei deshalb eine vierstündige Demonstration angemeldet worden, bei der die beiden Verkehrsversuche, die durch einen Bürgerantrag aus den Reihen der Verkehrswendeaktiven angestoßen worden waren, quasi nachgestellt würden.
Von dem Beschluss aus dem März 2021 sei bislang »kein Quadratzentimeter« verwirklicht worden, wird kritisiert. Aus der Politik reihten sich Ausreden und vage Ankündigungen aneinander. Dies gelte auch für fast alle Inhalte des Koalitionsvertrags, den Grüne, SPD und Gießener Linke im vergangenen Frühsommer abgeschlossen hatten. »Nichts davon ist bislang verwirklicht oder auch nur ernsthaft angepackt worden«.
Verkehrsversuch in Gießen: Büro erarbeitet mehrere Varianten
Wann der Verkehrsversuch am Anlagenring starten wird, ist laut Verkehrsdezernentin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) offen. Die Fachämter hätten mittlerweile ein Planungsbüro mit der Erarbeitung verschiedener Ausführungsvarianten für den Verkehrsversuch beauftragt, sagte sie in der gestrigen Pressekonferenz des Magistrats. Wann das Ergebnis vorliege, könne sie nicht sagen. Auch wenn es »nur« ein Verkehrsversuch sei, sei es doch ein größerer Eingriff in die Verkehrsinfrastruktur, der sorgfältig geplant werden müsse, warb die Stadträtin um Verständnis für die Dauer der Vorbereitungen. »Dass es in diesem komplexen Bereich zu Verzögerungen kommt, diese Erfahrung machen wir im Moment auch an anderen Stellen«, verwies Weigel-Greilich auf das Vorhaben, die Fußgängerunterführung aus dem Bahnhof zur Lahnstraße zu verlängern. An diesen Sachzwängen könnten auch Ultimaten nichts ändern.
In einem »Hintergrundpapier« hatten die Verkehrswendeaktiven vor zwei Wochen eine kritische Langzeitbilanz der Verkehrspolitik in Gießen gezogen. Unerfüllte Versprechen und nicht umgesetzte Ankündigungen hätten eine »lange Geschichte«, die bis zum ersten rot-grünen Koalitionsvertrag 1985 zurückreiche. Dies betreffe den Ausbau des Radroutennetzes ebenso wie die nie in Auftrag gegebene Studie zu einer »Gießener Stadtbahn« oder die anhaltende Duldung des rechtswidrigen Gehwegparkens. Fazit: »Es entsteht der Eindruck, dass die Stadtpolitik trotz hoher Erwartungen nur sehr wenig in Richtung der vielfach versprochenen Verkehrswende bewegt.« (mö)