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„Zucchini haben wir fast zu viel“: Grüne Oase in Wieseck ist aus Gartenprojekt entstanden

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Von: Daniel Beise

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Johanna, Oliver, Laura und Rebecca (v. l.) präsentieren nur einen kleinen Teil dessen, was sie in ihrem ökologischen Gartenprojekt in Wieseck alles anpflanzen und ernten. © Daniel Beise

In Gießen-Wieseck versteckt sich seit drei Jahren ein kleines Biotop. Genauer: An der Wieseck auf Höhe der Heinrich-Ritzel-Straße. Hier hat eine studentisch geprägte Initiative eine Fläche für »nachhaltigen Gartenbau und Ernährungssouveränität« gepachtet, die inzwischen als Verein eingetragen ist. Es geht ums Experimentieren, um Selbstversorgung und um Spaß am Gärtnern.

Gießen – Möhren, Zucchini, Kartoffeln, Tomaten, Gurken, Pastinaken, Zwiebeln, Rote Bete, Zuckerschoten, Topinambur, Kräuter, Honig. Was die vier beim Besuch in ihrem Gemeinschaftsgarten alles präsentieren, lässt Leute mit grünem Daumen aufhorchen. Durch den vielen Regen sei die Ernte dieses Jahr zudem um einiges besser als während der Trockenheit im vergangenen, sagt Kulturwissenschafts-Doktorandin Johanna Munzel. Die 33-Jährige führt durch die üppigen Beete auf dem rund 1000 Quadratmeter großem Grundstück. Fast überall bedeckt Schafswolle die Erde. Als Dünge-Experiment, wie Ernährungswissenschaft-Studentin Laura Gottschalk erläutert. Die Wolle haben sie geschenkt bekommen.

Die beiden Frauen sind bei der »Initiative für nachhaltigen Gartenbau und Ernährungssouveränität« aktiv. Der Garten des seit einem Jahr eingetragenen Vereins liegt zwischen der Wieseck und der großen Blühwiese auf Höhe der Heinrich-Ritzel- und Philipp-Scheidemann-Straße.

Gießener Verein hat 20 Mitglieder

»Im Winter 2017/18 haben wir uns in einer kleinen Gruppe getroffen und überlegt, wie wir uns nachhaltig selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können«, erzählt Oliver Jenschke. »Eigentlich wollten wir eine ›Solidarische Landwirtschaft‹ gründen, aber das war ziemlich spontan, weil wir noch in 2018 aussäen wollten.« In einer »Solidarsichen Landwirtschaft« arbeitet eine Gruppe von Verbrauchern mit einem oder mehreren Bauern auf lokaler Ebene zusammen. Die Verbraucher geben eine Abnahmegarantie und erhalten im Gegenzug Einblick und Einfluss auf die Produktion.

Zu den Treffen der Initiativen kamen weitere Gartenbegeisterte, die bereits eine Fläche im Auge hatten. Insbesondere Dr. Philipp Weckenbrock vom Institut für Pflanzenbau und -züchtung an der Justus-Liebig-Universität habe anfangs geholfen, das Grundstück zu bekommen, das zunächst die Stadt gepachtet hatte, sagt Jenschke. Inzwischen kann der Verein mit rund 20 Mitgliedern die Pacht selbst finanzieren.

Gießener Projekt vereint Ackerbau und Forstwirtschaft

Der Garten wirkt auf den ersten Blick wild und unkoordiniert. Wild soll er auch sein, doch er hat System. Zur Idee der Selbstversorgung gesellte sich ein freies Forschungsvorhaben. Die sogenannte Agroforstwirtschaft, die zum Beispiel in Südamerika eine jahrhundertelange Tradition hat, wollten sie mit heimischen Pflanzen erproben. Dieser Ansatz vereint Ackerbau und Forstwirtschaft. »Es ist also eine Kombination aus ein- oder mehrjährigen Nutzpflanzen und Dauerkulturen wie Obstbäumen oder Beeren- und Nusssträuchern«, erklärt der Verein auf seiner Seite. Wobei die Obstbäume hier noch sehr klein sind. Für diese Mischform haben sie sechs 100 Quadratmeter große Parzellen unterschiedlich vorbereitet, deren Fruchtfolge jährlich rotiert. »Damit der Boden gut bleibt«, wie sie sagen. Außerdem sorgt die Agroforstwirtschaft für Artenvielfalt. So war das Gartenprojekt bereits Thema in zwei Bachelorarbeiten - eine über die Bodenqualität, eine über den Regenwurmbestand.

»Also Gemüse muss ich gerade überhaupt nicht mehr einkaufen, Zucchini haben wir fast zu viel. Kuchen damit zu backen, ist gerade die neuste Idee«, berichtet Munzel und grinst. Doch übrig bleibe nie etwas. Bekannte Studierende nehmen das Gemüse gerne an. Vergangenes Jahr kamen zwei Bienenvölker hinzu, die ein paar Gläser Honig abgeworfen haben. Ein Erdloch zur Kartoffellagerung habe dagegen nicht gut funktioniert, weil Mäuse das Büfett entdeckten. »Vielleicht eine alte Wäschetrommel als Behälter?«, sinniert Munzel über eine bessere Lösung.

Gießener Studentenprojekt: „Eine Art kleine Subkultur ist entstanden“

Alles im Garten »INGE« ist aus Upcycling entstanden - also der Aufwertung von Abfallprodukten. Zum Beispiel der kleine Geräteschuppen oder der Unterstand mit Eckbank, wo auch mal frisch Geerntetes gekocht oder gegrillt wird. Die Nachbarn, die sie »super aufgenommen« hätten, kämen immer mal interessiert vorbei und würden teils auch Geräte anbieten. Das sei inzwischen wie eine kleine Community. Man tausche Erfahrungen und auch etwas Fachwissen aus, berichtet Rebecca Bär, die Agrarwissenschaften studiert.

»Witzig ist auch«, so fährt die 33-Jährige fort, »dass bei uns eine Art kleine Subkultur entstanden ist. Teenager hängen gerne in unserem Unterstand rum und lassen’s sich gut gehen.« Bis auf die vielen Kippenstummel, die schon ärgerlich seien, hätten sie noch nie viel Müll dagelassen oder irgendwas beschädigt, sagt Vereinsvorstand Jenschke, der gerade seinen Master in Umweltwissenschaften abschließt. »Wir wollen ja keinen Zaun, das soll ja ein offener Ort bleiben«, fügt Munzel an.

»Es wäre schön, wenn der Verein langfristig nicht nur für den Garten da ist, sondern generell als Plattform für verschiedene Netzwerke fungieren kann«, betont Jenschke, der noch in einem anderen Gartenprojekt aktiv ist. »Und schön wäre auch, wenn noch ein paar aktive Gärtner dazukommen, weil die Fläche sehr groß ist«, sagt Bär. »Dann könnte man mehr reißen.« (Daniel Beise)

Selbstversorger sein liegt im Trend. Dass daraus auch ein Geschäftsmodell erwachsen kann, zeigt ein Beispiel aus Lauterbach. Ein ehemaliger Hobby-Gärtner beliefert dort heute über 100 Haushalte.

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