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Gießener »Omas gegen Rechts«: Bloß nicht weggucken

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Von: Christine Steines

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Rechtspopulisten sind überall auf dem Vormarsch. »Oma, wo warst du, als die Demokratie verloren ging?« Damit ihre Enkel diese Frage nicht stellen müssen, gibt es die »Omas gegen Rechts« in Gießen.

Mit vier Jahren sind ihre beiden Enkel noch zu klein, um sich darüber zu wundern, warum in unserem Land Menschen angefeindet werden, weil sie fremd aussehen, an einen anderen Gott glauben oder einfach anders sind als die große Mehrheit. Doch diese Zeit wird kommen. Dann wird Dr. Dorothea von Ritter-Röhr den Kindern erklären, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die nicht verstanden haben, was Demokratie, Freiheit und Toleranz bedeuten. Sie möchte ihnen aber nicht sagen müssen, dass sie und ihre Generation weggeschaut haben, als Deutschland aus den Fugen geriet.

Deshalb hat die Psychoanalytikerin sich der Initiative »Omas gegen Rechts« angeschlossen. Diese Facebook-Aktion hatte ihren Ursprung in Österreich, mittlerweile gibt es in mehreren Nachbarländern und deutschen Städten Regionalgruppen – nun auch in Gießen. Die Gründerinnen rufen zur Teilnahme an Demonstrationen und Mahnwachen auf und haben sich auf die Fahnen geschrieben, Position zu beziehen gegen Rassismus und Diskriminierung.

Wie sich die Aktivitäten in Gießen gestalten werden, ist noch nicht endgültig geklärt. Am heutigen Freitag wird die Gruppe erstmals öffentlich in Erscheinung treten: Bei der Demonstration der »Seebrücke«, die sich für sichere Fluchtwege und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung einsetzt, ist sie mit von der Partie. »Wir hoffen, dass wir dabei viele Mitstreiterinnen gewinnen«, sagt von Ritter-Röhr.

Wir hoffen auf viele weitere Mitstreiterinnen

Dorothea von Ritter-Röhr

Noch sind die Gießener Omas eine kleine Runde. Sie sind Geschäftsfrau, Ärztin, Krankenschwester, Rentnerin – aber vor allem sind sie politisch denkende Frauen, die sich ihrer Verantwortung folgenden Generationen gegenüber bewusst sind. Ritter-Röhr, Jahrgang 1942, hat bis zu ihrem 16. Lebensjahr in der DDR gelebt, in einem von der Familie verhassten System. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit dem Nationalsozialismus und den Fragen nach Tätern und Opfern, gab es nicht. Das junge Mädchen erlebte die Zeit des großen, lastenden Schweigens – wie so viele dieser Jahrgänge. Die Studienzeit in Gießen – Soziologie, Psychologie, Psychosomatik – bedeutete Aufbruch, das politische Bewusstsein erwachte. Ritter-Röhr lernte Horst-Eberhard Richter kennen, sie war fasziniert von seinen Ideen und Visionen, seine Arbeit im sozialen Brennpunkt Eulenkopf war revolutionär. »Er hat uns damals ins kalte Wasser geworfen – das war eine spannende Zeit«. Bis heute geblieben ist der Anspruch, klare Standpunkte zu vertreten.

Die »Omas gegen Rechts« kommen da genau richtig. Oma – das klingt erst einmal nach dem Klischee der strickenden, politisch unbedarften Großmutter am Herd. Die Selbstironie ist durchaus gewollt, denn auf diese Weise bekommen die Frauen die beabsichtigte Aufmerksamkeit. Wer dann genauer hinschaut, stellt sehr schnell fest, dass diese Omas etwas zu sagen haben – Dorothea Ritter-Röhr, eine schöne, kluge Frau mit starker Persönlichkeit, ist das beste Beispiel dafür.

Für öffentlichen Protest

In dem Manifest der Gießenerinnen heißt es unter anderem: »Die Omas gegen Rechts bekämpfen faschistische Tendenzen wie Rechtsextremismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Wir haben und suchen Werte, die es uns ermöglichen, in Freude und mutig miteinander leben zu können auf dem Hintergrund der folgenden Prämissen: Eigenverantwortung und Selbstorganisation versus Fremdsteuerung und Unmündigkeit. Werte und Haltung versus Moralismus und Dogmatismus. Liebe und Frieden versus Hass und Krieg. Sorgsamer Umgang mit unserer Umwelt versus Zerstörung unseres Planeten«.

Der öffentliche Protest, sagen die Frauen, ist das Lebenselixier der Demokratie. Diese bedürfe der permanenten Diskussion über den richtigen Weg auf dem Boden des Grundgesetzes. Das mag anstrengend und unbequem sein – für Enkel, Omas und alle anderen. Besser als weggucken ist es allemal.

Info

»Omas gegen Rechts«

Kennen lernen kann man die »Omas gegen Rechts« am Freitag (26. Oktober) bei der Demo der Seebrücke. Sie sind um 17.30 Uhr auf dem Elefantenklo präsent. Die Administratorinnen der Gruppe sind sind Dr. Dorothea von Ritter-Röhr und Angelika Körner. E-Mail: omas-gegen-rechts-giessen@web.de. Auch auf Facebook kann man sich über die Aktivitäten informieren.

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