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Gießener Handwerksbetrieb will mit Vier-Tage-Woche Fachkräfte gewinnen

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Von: Christoph Hoffmann

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Work-Life-Balance ist ein zentrales Schlagwort in der Arbeitswelt. Der Gießener Handwerksbetrieb Thiele setzt dies nun in Form einer Vier-Tage-Woche in die Tat um.

Gießen - Im Treppenhaus des Handwerksbetriebs Thiele liegt eine Ski-Ausrüstung. »Die gehört einem Kollegen, er fährt Freitag in den Urlaub«, sagt Geschäftsführer Joachim Thiele. Einen Urlaubstag muss der Mitarbeiter dafür nicht opfern. Denn seit Anfang des Jahres arbeitet ein Großteil der Belegschaft des Sanitär- und Heizungsunternehmens nur von montags bis donnerstags. »Wir haben die Vier-Tage-Woche eingeführt«, sagt Thiele. Damit will der Geschäftsführer vor allem neue Fachkräfte von seinem Unternehmen überzeugen.

Das Handwerk hat massive Probleme. Viele Betriebe klagen schon seit Jahren, keinen geeigneten Nachwuchs zu finden. Das liegt auch an den vielen Schulabsolventen, die sich in der Vergangenheit vermehrt für ein Studium entschieden haben. Kein Wunder also, dass viele Handwerksbetriebe auf allen Kanälen nach Fachkräften suchen. So auch der Gießener Betrieb Thiele.

»Das ist auch der Grund, warum wir auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt haben«, sagt Thiele. Gerade jungen Menschen werde die Freizeitgestaltung immer wichtiger, sei es für Hobbies oder die Familie.

Jobsuche in Gießen: „Leiden unter Fachkräftemangel“

Im Wettstreit um die besten Köpfe bieten viele Unternehmer mehr als nur gute Löhne. Home Office ist vor allem durch die Pandemie schon in vielen Branchen eine Selbstverständlichkeit, Firmenwagen, Smartphones, Bonuszahlungen und großzügige Urlaubsregelungen ebenfalls. In Zeiten, in denen sich viele Bewerber ihre Arbeitgeber aussuchen können, werden solche Faktoren immer wichtiger.

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Mit großen Plakaten will Joachim Thiele für seine Vier-Tage-Woche werben. © Oliver Schepp

Das weiß auch Thiele. »Wir können uns vor Aufträgen kaum retten, deswegen leiden auch wir unter dem Fachkräftemangel«, sagt der Geschäftsführer. Daher hat er am Firmensitz in der Robert-Bosch-Straße auch zwei große Plakate aufgehängt, um potenzielle neue Mitarbeiter anzulocken.

Die Einführung der Vier-Tage-Woche sei jedoch kein Schnellschuss gewesen. »Wir haben uns ein halbes Jahr lang Gedanken gemacht, bevor wir unsere Mitarbeiter von den Plänen berichtet haben.« Nach einer kurzen Bedenkzeit, in der die Monteure die Änderung mit ihren Familien besprechen konnten, hätten alle für die Veränderung gestimmt.

Gießener Handwerksbetrieb Thiele: Vier Tage, trotzdem 40 Stunden Arbeit

Dabei bedeutet eine Vier-Tage-Woche nicht automatisch weniger Arbeit, wie Thiele betont. »Bei uns wird weiterhin 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Wir komprimieren die Arbeit jetzt nur auf vier Tage.« Der Geschäftsführer weiß, dass dies eine große Herausforderung für alle Beteiligten sein kann. Gerade die Abstimmung mit anderen Handwerksbetrieben und Gewerken sei wichtig. Klar: Wenn die Mauer erst am Freitag steht, können die Heizkörper nicht schon am Donnerstag angebracht werden.

Aber auch für die Mitarbeiter sei die neue Regelung eine Herausforderung. »Gerade Mitarbeiter, die es seit Jahren gewohnt sind, acht Stunden am Tag zu Arbeiten, müssen sich umstellen«, sagt Thiele. Denn das neue Konzept funktioniere nicht, wenn die Monteure die gleiche Arbeit nun in zehn statt zuvor in acht Stunden verrichteten. »Wenn bisher beispielsweise 20 Heizkörper pro Tag angebracht worden sind, müssen es nun 24, 25 oder 26 sein.«

Thiele will die Vier-Tage-Woche zunächst für ein halbes Jahr testen und sehen, ob sie sich in der Praxis bewährt. Gleichzeitig wird der Kundendienst auch an Freitagen stets erreichbar sein, versichert der Chef .Die Tatsache, dass sein Unternehmen überwiegend auf Großbaustellen der öffentlichen Hand arbeite, sei mit Blick auf die Planung schon einmal vorteilhaft. Trotzdem rechnet Thiele auch mit Hürden und Problemen. »Aber die wird man meistern können. Natürlich gibt etliche Gründe dafür und dagegen. Am Ende muss man es ausprobieren und das Beste daraus machen.«

Zuversicht gibt Thiele dabei ein Blick in die eigene Vergangenheit. »Als ich angefangen habe, hat jeder Handwerkbetrieb noch samstags gearbeitet. Heute ist das zum Glück kein Thema mehr.« (Christoph Hoffmann)

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