Gießener forscht zu Vlad Draculea - »der Pfähler«

Gießen und die historische Walachei liegen mehr als 1000 Kilometer voneinander entfernt, trotzdem kennt jeder eine Persönlichkeit aus dieser Region: Graf Dracula. Thomas Bohn ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der JLU - und Dracula-Forscher. Er verfolgt die Spur von Vlad III. durch die Jahr hunderte und trennt Mythos von Wirklichkeit.
Es war Nacht, als die walachischen Reiter aus dem Schutz der Dunkelheit heraus im Juni 1462 die osmanischen Invasoren angriffen. Beinahe wäre ihnen das Unmögliche gelungen: Sie kämpften sich durch große Teile des feindliche Heerlagers bis in die Nähe des Zelts von Sultan Mehmed II., dem Eroberer. Doch letztlich mussten die zahlenmäßig eins zu zehn unterlegenen Walachen den Rückzug antreten. Was die Osmanen, die ihnen nachstellten, dann vorfanden, war der Beginn einer Legende: In den Boden gerammte Pfähle, auf denen unzählige ihrer Kameraden aufgespießt waren. Der walachische Kriegsherr, der sich dieser psychologischen Kriegsführung bediente: Vlad Draculea III. Die osmanische Geschichtsschreibung nannte ihn von da an: Vlad, »den Pfähler«.
Medienereignis des 15. Jahrhunderts
Diese Schlacht kann Thomas Bohn, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität, in historischen Quellen nachweisen. Denn Bohn hat mit seinen Kollegen Adrian Gheorghe und Albert Weber das Corpus Draculianum zusammengestellt: die größte Sammlung an Dokumenten zu Vlad Draculea. Aber nicht alles, was sich in zeitgenössischen Schauergeschichten widerspiegele, entspreche der Wahrheit, erklärt Bohn. In der Gestalt Draculas laufen schließlich zwei Mythen zusammen. »Der Mythos des Pfählerfürsten hat mit dem Mythos des Vampirgrafen ursprünglich nichts zu tun.«
Die historische Person Vlad III. war Angehöriger des Adels in der Walachei, einer Region zwischen den Karpaten und der Donau im heutigen Rumänien. Er wurde als Sohn des Fürsten Vlad Dracul II. geboren, der Mitglied des katholischen Drachenordens gewesen war. Dracul leitet sich dabei von »draco«, dem lateinischen Wort für Drache, ab. Und Vlad III. habe diese Ehrenbezeichnung in der Form von Draculea, »Sohn des Dracul«, übernommen, so Bohn.
Der Professor erklärt, dass die Walachei unter erheblichem Druck gestanden habe, weil sie Grenzregion zwischen Ungarn und Osmanischem Reich, also zwischen christlicher und muslimischer Welt, gewesen sei. Auch im Inneren gab es Konflikte, da mehrere Adelige, unter anderem Vlad III., Anspruch auf den Thron erhoben. Bei diesen Auseinandersetzungen kamen schließlich Vlads Vater und sein Bruder ums Leben. Er selbst wurde in den folgenden Jahren einmal mit osmanischer, einmal mit ungarischer Hilfe an die Spitze des Landes gestellt. »Und zu seinen ersten Maßnahmen gehörte die blutige Rache an den Mördern seiner Familie«, sagt Bohn. Er habe grausame Exempel an seinen Feinden statuiert, aber das Bild des Sadisten wurde erst in der späteren Überlieferung geprägt. Das Motiv des Blutrausches entstammte der Gerüchteküche, so der Historiker.
Nachdem sich Vlad nach dem Angriff auf Mehmed in die Wälder zurückziehen musste, schlugen seine innenpolitischen Feinde zurück. »Ein Verratsbrief wurde fingiert, laut dem Vlad die Christen an Mehmed verraten will«, erzählt Bohn. Der ungarische König sah darin einen willkommenen Grund, den Walachen in Haft zu setzen. Vlad war jedoch ein Würdenträger und wurde nach einigen Jahren mit einer Verwandten des Königs vermählt. Der Walache wurde später erneut als Feldherr gegen die Osmanen eingesetzt, worauf er in einem der ersten Gefechte starb.
Doch der Brief wirkte über Vlads Tod hinaus: Vlad Draculea, der angeblich die Christen verkaufen wollte, wurde in Erzählungen zum Antichristen stilisiert, erklärt Bohn. Dabei wurden die blutigen Morde an seinen Feinden weiter ausgeschmückt, so zum Beispiel, dass Vlad angeblich ihre Körper zerstückeln und kochen ließ. Verbreitet wurden diese Horrorgeschichten zum einen von einem Popstar des Mittelalters: Michel Beheim. Aber auch im aufkommenden Buchdruck wurden Flugschriften mit diesen Legenden verbreitet. »Vlad wurde zu dem Medienereignis des 15. Jahrhunderts«, sagt Bohn. Anfang des 16. Jahrhunderts standen die Osmanen dann vor Wien. Bohn: »Und die ›Türkengefahr‹ brauchte andere Feindbilder.« Vlad III. geriet in Vergessenheit, der Mythos nahm fürs Erste ein Ende.
Leichen wurden zu Sündenböcken
Mehr als zwei Jahrhunderte später wurde dann ein anderer Mythos geboren. Anfang des 18 Jahrhunderts bricht an der Grenze der Habsburger zu den Osmanen eine Seuche aus. Die serbischen Bauern suchten einen Sündenbock: »Leichen, die nicht verwesen, sollen die Seuche übertragen haben, weil deren Seele nicht aus dem Körper entweichen könne.« Zur Kontrolle wurden Gräber wieder ausgehoben und Särge geöffnet. »Dann gab es Fieberfantasien: Kranke haben berichtet, dass ihnen verstorbenen Verwandte erschienen seien.« Das Motiv der lebenden Toten, die aus ihren Särgen steigen - der Vampirmythos - entstand.
Mehr als 100 Jahre später, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde dann in Irland Abraham »Bram« Stoker geboren. Stoker war Journalist, Theaterkritiker, aber auch Buchautor. Und nachdem ihm ein ungarischer Professor von Vlad III. erzählte, führte der Schriftsteller die einzelnen Mythen zusammen: Er nahm die Blutrauscherzählung, das Pfählen, Namen und Herkunft von Vlad. Dazu packte Stoker den Vampirmythos, das Aufstehen der Toten aus dem Sarg und fügte schließlich noch, wahrscheinlich wegen des Bluttrinkens, die Fledermäuse hinzu. 1897 erschien Bram Stokers »Dracula« und das Medienereignis des 15. Jahrhunderts lebt dadurch bis heute fort.