Gießener Forscher will Krebs mit Fieber heilen
Es klingt unglaublich: Fieber kann Krebs heilen. THM-Forscher Uwe Hobohm folgert jedoch genau das aus seinen Studien. Ist diese Methode schon reif für die Praxis? Eine Einordnung.
Neuste Erkenntnisse aus Gießen dürften Krebspatienten und deren Angehörige aufhorchen lassen: Durch von Viren und Bakterien ausgelöstes Fieber sollen Tumore aufhören zu wachsen oder ganz verschwinden. Eine Fiebertherapie mit speziellen Medikamenten könnte daher in manchen Fällen eine Chemotherapie ergänzen oder sogar ersetzen, sagt Prof. Dr. Uwe Hobohm von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Seine Erkenntnisse zieht der Biologe aus einer Auswertung von Literatur über Spontanheilungen sowie aus eigenen Untersuchungen an Mäusen und Menschen.
Grundsätzlich geht der THM-Forscher davon aus, dass durch Viren und Bakterien hervorgerufenes Fieber das Immunsystem der Patienten ankurbelt. So wird eine oft vorhandene, aber zu schwache Immunreaktion gegen die Krebszellen vermutlich verstärkt. In einer Fiebertherapie könnten Medikamente diese starke Reaktion auslösen – so Hobohms Hypothese. Die Medikamente enthalten Stoffe aus Krankheitserregern, sogenannte PAMP-Substanzen (pathogen-associated molecular pattern).
Das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg schreibt dem Immunsystem eine Rolle bei der Spontanheilung von Krebs zu. Eine gezielte Infektion könnte Krebszellen möglicherweise für das körpereigene Immunsystem angreifbar machen, schreibt die Fachstelle. Sie weist jedoch darauf hin, dass der aktuelle Wissensstand noch keine verlässliche Grundlage für eine Behandlungsempfehlung sei.
Bei Mäusen ist Hobohms Therapie erfolgreich, wie seine Experimente zeigen. Bei vier von fünf mit PAMP-Medikamenten behandelten Mäusen sind die Tumore verschwunden, bei einer hörte er auf zu wachsen und begann sich abzubauen. Bei 130 an Krebs erkrankten Menschen zeigten erste Tests immerhin, dass die PAMP-Therapie keine schweren Nebenwirkungen hat. Die Verträglichkeitsstudie publizierte kürzlich das Fachmagazin Translational Oncology. Weitere Studien will der Forscher demnächst veröffentlichen.
Neu ist die Fiebertherapie jedoch nicht. »Die Behandlung mit Fieber hat schon vor über 100 Jahren zu spektakulären Heilungen geführt«, sagt der THM-Forscher. Jedoch sei die Methode neben Chemo- und Strahlentherapie in Vergessenheit geraten. Damals setzten Ärzte nicht Medikamente, sondern Bakterienextrakte ein, um Fieber hervorzurufen. Berichtet wird sogar von Totalremissionen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Allerdings sind diese Heilungsfälle nicht wissenschaftlich dokumentiert.
Auf die Spur der Fieber auslösenden Substanzen kam Hobohm als er sich mit der Spontanheilung von Krebs beschäftigte. Patienten mit dieser sehr seltenen Genesung hatte zuvor fast immer ein heftiger, fiebriger Infekt befallen. Diesen Zusammenhang erkannte der Forscher durch die Analyse publizierter Studien. Ein weiteres Ergebnis Hobohms dürfte alle freuen, die sich schon öfters eine Grippe eingefangen haben. »Fiebrige Infekte bieten einen gewissen Schutz vor Krebs«, erklärt der Biologe. »Das heißt, jemand der eine persönliche Historie von fiebrigen Infekten hat, der bekommt im Schnitt seltener Krebs.«
Die Medikamente für die PAMP-Therapie sind bereits auf dem Markt, allerdings sind sie zugelassen, um andere Krankheiten zu behandeln. Dadurch dass sie Fieber als häufige Nebenwirkung haben, könnten sie jedoch für die Fiebertherapie nützlich sein. Der Einsatz für eine andere Krankheit ist in Einzelfällen durchaus erlaubt. Damit ein Medikament für die Behandlung zugelassen wird, muss er für das jeweilige Krankheitsbild in mehreren Stufen an Patienten getestet werden, in sogenannten klinischen Studien. Mit der Verträglichkeitsstudie ist Hobohm mit seiner PAMP-Therapie die erste von vier Stufen gegangen mit dem Ziel die zugelassenen Medikamente auch bei Krebs einzusetzen. Um im zweiten Schritt die Wirkung und Dosierung zu ermittelt, liegt bereits ein Konzept in der Schublade, sagt der THM-Forscher.
Wie PAMP-Substanzen auf Krebs wirken, untersucht der THM-Forscher seit über zehn Jahren. Die Therapie will er nun mit Hausärzten und Kliniken testen, etwa an Kliniken in Berlin, Witten/Herdecke und Stuttgart. Vor allem Ärzte mit anthroposophischen Ansätzen interessieren sich für die Methode. Ärzte und Kliniken aus Gießen sind hingegen nicht beteiligt. Eine Zusammenarbeit sei aber wünschenswert, sagt Hobohm.
Für die Behandlung von Krebs mit der Fiebertherapie hat Hobohm für seine Partner-Ärzte einen Behandlungsplan erstellt. Demnach erhalten die Patienten über fünf Wochen zwei bis dreimal pro Woche PAMP-Medikamente über eine Infusion. »Diese Behandlung kann im Prinzip jede Hausarztpraxis durchführen, in der eine einstündige Infusion gelegt werden kann und in der sich der Patient bis zum Abklingen des Fiebers aufhalten kann«, sagt Hobohm. Jedoch rät er dazu, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Nicht geeignet ist die Therapie für Patienten, deren Immunsystem durch Chemotherapie oder Bestrahlung vorgeschädigt ist. Eine gleichzeitige Hormontherapie, zum Beispiel bei Brustkrebs oder Prostatakrebs, sei dagegen vermutlich unkritisch.
Die Medikamente für eine fünfwöchige Behandlung kosten rund 700 Euro, hinzukommen die Kosten für den Krankhausaufenthalt. »Leider gibt es noch keine Kassenziffern für die PAMP-Therapie, so dass die interessierten Patienten die Finanzierung mühsam von Fall zu Fall mit ihrer Krankenkasse klären müssen«, sagt Hobohm. Das sei einer der Gründe, weshalb Ärzte sich nur sehr zögerlich dieser Methode zuwenden. »Wenn die Leute von einer Krebstherapie hören, die wirksam und billig zugleich ist, wollen sie das kaum glauben«, sagt Hobohm. »Und ich kann diese Zweifel nachvollziehen.«