Gießener arbeiten an der veganen Fleischwurst
Damit wir auch in Zukunft genug zu Essen haben, sind auch Wissenschaftler gefragt. An der Uni Gießen forschen sie daher an einer Proteinquelle aus Pilzen. Erstes Ergebnis: Eine vegane Fleischwurst.
Der Hunger des Menschen ist grenzenlos. Allein in Deutschland sind vergangenes Jahr laut Statistischem Bundesamt knapp 58 Millionen Schweine, 3,5 Millionen Rinder sowie 680 Millionen Hühner, Puten und anderes Geflügel geschlachtet worden. Selbst durch hochtechnologisierte Massentierhaltung ist diese »Fleischeslust« auf Dauer nicht zu stillen. Zumal sie obendrein noch ineffektiv ist. Die durch die Fleischproduktion freigesetzten Treibhausgase bereiten Fachleuten ebenfalls Sorge. »Wir bekommen bei einer steigenden Weltbevölkerung ein riesiges Problem«, sagt daher Prof. Holger Zorn: »Wir werden vor allem Schwierigkeiten haben, genügend Proteine für die Menschen zu produzieren.« Und genau hier setzt ein Projekt der Gießener Uni an.
Zorn ist Leiter des Instituts für Lebensmittelchemie und Lebensmittelbiotechnologie. Zusammen mit seinem Team forscht er an alternativen Proteinquellen. Mit Erfolg: Durch die Zusammenarbeit mit einem Fabrikanten für Gewürze und Gütezusätze aus dem Rheingau soll im nächsten Jahr eine vegane Fleischwurst auf den Markt kommen, deren Grundzutat aus Pilzen wie Shiitake und Seitlingen gewonnen wird.
Bei dem Verfahren wird nicht der Fruchtkörper verwendet, sondern deren Unterbau. Dieses Myzel vermehren Zorn und seine Kollegen in Nährflüssigkeit und erhalten so ein Pulver, aus dem mit Gewürz und Verdickungsmitteln Würste geformt werden können. »Das Potenzial ist aber noch viel größer. Bei Nahrungsknappheit kann durch diese Pilzproteine die Grundversorgung sichergestellt werden. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Welternährung leisten«, sagt Zorn. Das Pulver sei aber auch als Tierfutter nutzbar, und nicht zuletzt diene es dem Menschen auch ohne Wurstpelle als Nahrungsmittel. Zum Beweis zückt Zorn einen Plastikbeutel. »Sie können ruhig probieren, die schmecken gut«, sagt der Professor und steckt sich einen der braunen Würmer in den Mund. Diese Erdnussflips-artigen Konstrukte stammen ebenfalls aus Pilzen. Genauer gesagt aus einem Austernseitling. »Das ist ein gesunder Snack, der sehr fettarm, aber reich an Proteinen ist.«
Auch Alexander Stephan, der ebenfalls in Zorns Büro sitzt, greift in den Beutel. »Schmeckt gut«, sagt der Lebensmitteltechniker, der in Zorns Institut derzeit berufsbegleitend seine Doktorarbeit schreibt. Seine Meinung hat aber auch aus einem anderen Grund Gewicht: Stephan arbeitet für die Firma, die die Wurst auf den Markt bringen wird. Und: Er ist Metzgermeister. Genauso wie viele seiner Vorfahren. Seit 1731 versorgt die Familie ihre Mitmenschen schon mit Fleisch und Wurst. Stephan grinst: »Ich glaube aber nicht, dass ich aus der Art geschlagen bin.« Den Segen seiner Großmutter habe er jedenfalls: »Ihr schmeckt, was wir im Labor entwickelt haben.«
Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass die Wurst von den Kunden angenommen wird. Zumal die Zahl der Veganer und Vegetarier seit Jahren steigt. Auch die sogenannten Flexitarier, also Menschen, die seltener und bewusster Fleisch essen, sind auf dem Vormarsch. Vollends wird die Lust der Menschen auf Fleisch wohl nie verschwinden. Aber vielleicht kann ein Biss in die vegane Fleischwurst sie zumindest an manchen Tagen stillen.