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EU: Gießener Abgeordneter Bullmann fordert nach Korruptionsskandal „radikalste Konsequenzen“

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Von: Sebastian Schmidt

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Ein Korruptionsskandal erschüttert die EU. Der Gießener EU-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD) ist neuer Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses und verspricht Aufklärung.

Herr Bullmann, vergangene Woche Montag sind Sie zum Vorsitzenden des EU-Menschenrechtsausschusses gewählt worden und beerben damit die Belgierin Marie Arena, die das Amt nach Korruptionsvorwürfen niedergelegt hat. Inwieweit beschäftigt Sie nun der »Katargate-Skandal«?

Wir hinterfragen zur Zeit, mit wem wir im Ausschuss überhaupt sprechen: Wer sind die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten, und wer sind die Nicht-Regierungsorganisationen, die sauber sind und mit denen wir auch in Zukunft arbeiten wollen? Und wie unterscheiden wir die von den Kriminellen und den U-Booten, die nur dazu gegründet worden sind, schädlichen Einfluss auszuüben. Das ist im Moment unsere Tagesaufgabe.

Wird auch weiter in den eigenen Reihen ermittelt?

Wir befinden uns auch da in einem Prozess der Aufklärung und Reinigung. Wenn es belastbare Vorwürfe gibt, egal ob gegen Abgeordnete und Kommissare oder Mitarbeiter, müssen wir radikalste Konsequenzen ziehen. Es darf keine Kompromisse, es darf keine falsche Rücksichtnahme geben. Denn die Identität unseres Ausschusses darf nicht darunter leiden, dass mit krimineller Energie versucht wurde, unsere Mission zu pervertieren. Hier ist eine Menge aufzuräumen.

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Der Gießener Udo Bullmann (SPD) ist neuer Vorsitzende des EU-Menschenrechtsausschusses. © DPA Deutsche Presseagentur

Der Gießener EU-Abgeordnete Udo Bullmann warnt vor Bestechung durch Marokko

Neben Katar wird auch Marokko vorgeworfen, EU-Abgeordnete bestochen zu haben.

Die offiziellen Untersuchungsergebnisse stehen noch aus, aber ich vermute, dass Marokkos Einflussnahme sehr viel älter ist und dort auch tiefer in die Taschen gegriffen wurde, um Druck auf europäische Institutionen und einzelne Persönlichkeiten auszuüben.

Wie kommen Sie darauf?

In Katar wurde die Einflussnahme über den dortigen Arbeitsminister organisiert. Nach den vielen Toten, die es auf den Baustellen der Fußball-Weltmeisterschaft gegeben hatte, hat der Arbeitsminister versucht, die Reputation seines Landes aufzubessern. In Marokko hingegen sind die Bestechungsversuche beim Geheimdienst organisiert. Und der marokkanische Geheimdienst ist eine sehr gut ausgestattete, hochangebundene Institution.

Marokko ist auch unabhängig von den Korruptionsvorwürfen eine Aufgabe für den Menschenrechtsausschuss der EU.

Genau, denken Sie zum Beispiel an die Verwobenheit Marokkos in der widerrechtlichen Besetzung der Westsahara. Das ist völkerrechtlich nicht tragbar, wird aber von der marokkanischen Regierung als selbstverständlich angesehen. Oder denken Sie an die Rolle Marokkos in der Flüchtlingspolitik. Viele der Flüchtlinge aus Afrika, die nicht über Libyen fliehen, kommen über die Maghreb-Staaten nach Europa. Insofern ist übrigens die Versuchung in Europa immer groß, sich auch unter falschen Bedingungen mit Marokko gutzustellen. Man hat Angst vor dem Missbrauch der »Gatekeeping«-Position des Landes, also dass Marokko die geflüchteten Menschen einfach »durchwinken« könnte.

EU: Der Gießener Abgeordnete Udo Bullmann beschäftigt sich mit russischen Dissidenten

Welche Kompetenzen hat der Menschenrechtsausschuss der EU eigentlich?

Wir hören Betroffene und Experten, wir stellen eigene Untersuchungen an und fahren in kritische Länder, wir nehmen öffentlich Stellung. Schließlich können wir auch Gesetzesvorschläge machen. Die Menschenrechte sind das Fundament des europäischen Einigungswerk. Und das ist auch unsere Mission in der Welt. Wir wollen dafür sorgen, dass sie allerorten befördert und durchgesetzt werden.

In Ihrer ersten Sitzung als Vorsitzender ging es zum Beispiel auch um russische Dissidenten.

Wir haben uns im Ausschuss darüber unterhalten, wie wir Menschen schützen können, die innerhalb Russlands gegen den Krieg angehen. Die Dissidenten werden unterdrückt: Wenn sie sich öffentlich äußern, sind sie in Gefahr. Deswegen wollen wir eine Initiative starten, mehr humanitäre Visa zu vergeben, um - wo nötig - Menschen zu schützen, die wir aus dem Land bringen müssen.

Es gibt den Vorwurf, bei rohstoffreichen Ländern wird schnell mal über Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen. Welche Rolle spielt wirtschaftliche Abhängigkeit bei Ihrer Arbeit?

Wir sind nicht der Ausschuss der taktischen Rücksichtnahme, wo geostrategische Ziele miteinander abgeglichen werden. Wir halten nicht die »Klappe«, weil man von dem noch Erdgas oder von dem noch Erdöl will. Das ist nicht unser Geschäft. Sondern wir sind für diejenigen da, deren Rechte unterdrückt werden, die unter Hunger und Kriegen leiden, die ihre Meinung nicht frei äußern können, die nicht leben und lieben können, wie und wen sie wollen. Kurz gesagt, wir sind für all diejenigen da, die unsere Stimme brauchen, weil sie selber keine Stimme haben oder nicht hinreichend gehört werden. Wir sind nicht für Leute da, die mit dem Geldkoffer durch die Gegend winken. (Sebastian Schmidt)

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