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Gießen und »Die Feuerzangenbowle«

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Von: Dagmar Klein

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Dieses Plakat wirbt für die Premiere des Films »Die Feuerzangenbowle« im Jahr 1944 - mit Heinz Rühmann als Schein-Pennäler Hans Pfeiffer, wohlgemerkt »Pfeiffer mit drei F«. © Dagmar Klein

Der deutsche Filmklassiker »Die Feuerzangenbowle« mit Heinz Rühmann als Dr. Johannes Pfeiffer, der in die Rolle eines Abiturienten schlüpft, gehört für viele zum Jahreswechsel dazu. Vorlage des Films ist eine der berühmteren Literaturgeschichten Gießens. Denn der hiesige Universitätskarzer soll damit zusammenhängen. Aber stimmt das?

Der Ursprung des berühmten Filmklassikers »Die Feuerzangenbowle« liegt in der Schulhumoreske »Der Besuch im Carcer«, geschrieben vom aus Gießen stammenden Ernst Eckstein. Der war ein höchst erfolgreicher Schriftsteller der Kaiserzeit. 1875 erstmals publiziert, erschien die Kurzgeschichte in zahlreichen Auflagen als Reclam-Heftchen, bis in die jüngste Vergangenheit. Der »Besuch im Karzer« (so die spätere Schreibweise von Carcer) ist nur eine von zahlreichen »Schulhumoresken«, die Eckstein verfasste, aber die erfolgreichste. Immer geht es um Schülerstreiche, im damaligen Sprachgebrauch »Lausbübereien« genannt, bei denen die Schrullen der Lehrer auf die Schippe genommen werden. Als Mittel der Disziplinierung gab es die Karzerstrafe, bedeutet: das stundenweise Einsitzen in einem karg eingerichteten Raum, in dem Schularbeiten gemacht werden sollten. Allerdings fiel den Schülern auch hier allerhand Unfug ein.

Zwei Tage Karzer für den »Schöler«

Der von Eckstein oft erwähnte Schüler Wilhelm Rumpf, vermutlich sein Alter Ego, tut sich durch eine besondere Begabung hervor: Er kann die Lehrer in Sprache und Verhalten imitieren, zur großen Freude seiner Schulkameraden. Da Schuldirektor Samuel Heinzerling (auch für ihn gibt es ein reales Vorbild in Gießen) eine besonders markante Aussprache hat, ist er bevorzugtes Opfer des Imitators. Schließlich will der »Direx« diesen »ungehörigen Schöler« mit zwei Tagen Karzer hart bestrafen. Doch eigene Zweifel treiben ihn zu dem einsitzenden Delinquenten, um ihn zur Einsicht zu bewegen. Und dieser nutzt die Gelegenheit, um auszubüxen und kurzerhand den Direktor einzusperren. Der herbeigerufene Pedell vermeint wiederum, hinter der Karzertür den Schüler Rumpf beim Imitieren des Direktors zu hören und weigert sich die Tür zu öffnen. Natürlich gibt es ein gutes Ende.

Ein Hinweis auf den Zusammenhang der Ecksteinschen Karzer-Erzählung zur »Feuerzangenbowle« findet sich im Roman selbst. In gemütlicher Runde bei einer Feuerzangenbowle sitzend, überzeugen die Freunde Dr. Johannes Pfeiffer davon, dass er das Beste der Jugendzeit verpasst habe, da er nicht zur »Penne« gegangen sei, und dass er diese Erfahrung unbedingt nachholen müsse. Pfeiffer geht also noch mal zur Schule.

An seinem ersten Unterrichtstag wundert sich der Schein-Pennäler Hans Pfeiffer (»Pfeiffer mit drei F«) über die wundersame Aussprache des Lehrers, der die »Schöler« mit Formulierungen wie »Sätzen se säch!« zur Ordnung ruft. Im Roman ist zu lesen: »Das merkwürdigste aber war die Aussprache. Darüber kam Hans Pfeiffer nicht hinweg. Imitiert der Mann wirklich den Professor Heinzerling aus Ecksteins ›Besuch im Karzer‹? Oder will er nur seiner Stimme einen volleren Ton geben?«

Wie wurde nun aus dem Karzerbesuch der Roman »Die Feuerzangenbowle«, die dem Düsseldorfer Heinrich Spoerl zugeschrieben wird? Es gab noch einen Autor: Hans Reimann (1898-1969) und der erzählt in seinen 1959 publizierten Memoiren »Mein blaues Wunder« auch die Entstehungsgeschichte der »Feuerzangenbowle« (www.hans-reimann.de). Er betont, dass sein Anteil maßgeblich gewesen sei, Spoerl habe das Lektorat gemacht. Die Erben des bereits verstorbenen Heinrich Spoerl (1887-1955) erhoben beim Erscheinen der Reimann-Memoiren keinen Einspruch gegen diese Darstellung. Genannt wurde der zweite Autor bei späteren Ausgaben der »Feuerzangenbowle« dennoch nicht, auch nicht in einer verlegerischen Notiz. Doch wurde die Hälfte der Tantiemen seit 1933 regelmäßig an Reimann überwiesen. Und die Stadt Leipzig hat »ihrem Sohn« Hans Reimann als dem Urheber der Feuerzangenbowle schon 1999 eine Gedenktafel gewidmet.

Reimann hatte bereits eine satirische Zeitschrift herausgegeben, in Frankfurt a. M. und Leipzig Kabaretts gegründet, und lebte seit 1925 in Berlin. Heinrich Spoerl war Rechtsanwalt mit wenig florierender Praxis, er begann mit dem Schreiben und suchte den Kontakt zu dem bereits erfolgreichen Bühnenautor Reimann. Gemeinsam wollten sie einen »Schwank für die Bühne« verfassen. Da fand Reimann in einem Antiquariat Ernst Ecksteins »Besuch im Karzer«. Nach der Lektüre stand fest, dass sie die Grundidee dieser Geschichte nutzen. Reimann machte tatsächlich eine Feldstudie mithilfe eines befreundeten Landrats in Niederschlesien, der ihm eine Inkognito-Hospitanz in einem Gymnasium ermöglichte. Das gemeinsame Entwerfen des Romans »dauerte etwa einen Monat. Dann brachte ich’s zu Papier«, schreibt er.

Doch das Jahr 1932 brachte für Reimann zunehmend »Anpöbeleien« von NS-Seite. Daher bat er den politisch unauffälligen Spoerl, das Skript unter seinem Namen bei Verlagen einzureichen, Reimann selbst wollte nicht in Erscheinung treten. Der Verlag der Düsseldorfer Zeitung, für die Spoerl hin und wieder schrieb, sagte schließlich zu. Es ist der Start des Droste Verlags, der anlässlich des 75-jährigen Jubiläums das Buch in der Fassung von 1933 wieder herausgab. Die Wege der Autoren trennten sich. Spoerl wurde erfolgreicher Komödienautor in Nazi-Deutschland, Reimann wurden weiterhin politisch Steine in den Weg gelegt.

Drehbuch als freie Version des Romans

Die Geschichte des Films »Feuerzangenbowle« hatte wiederum einen eigenen Weg. Der Schwager Heinz Rühmanns wurde darauf aufmerksam, erkundigte sich und wurde an Reimann verwiesen. Dieser schrieb das Drehbuch als freie Version des Romans, die 1933 unter dem Titel »So’n Flegel!« mit Heinz Rühmann verfilmt wurde. Die heute zum Kultfilm gewordene Version ist allerdings die zehn Jahre später gedrehte, die sich eng an den Roman anlehnt, bis zur angestaubten Sprache des Direktors. Hierfür hat Heinrich Spoerl das Drehbuch geliefert und dabei den Gießen-Bezug über die Erwähnung des berühmten Chemie-Professors Liebig hergestellt. Die Dreharbeiten fanden mitten im Krieg statt, Heinz Rühmann spielte nicht nur wieder die Hauptrolle, er setzte sich auch finanziell und als Fürsprecher für den Film ein. Einige der jungen Darsteller erlebten die Premiere im Januar 1944 allerdings nicht mehr, da sie doch noch eingezogen und im Krieg getötet wurden.

Schulhumoreske aus Ecksteins Jugend

Und der Karzer in Gießen? Die Schulhumoresken dokumentieren Erinnerungen Ecksteins an das Gießen seiner Kindheit und Jugend (1845-1863/65). Er zeichnet skurrile, aber liebevolle Bilder des Schulunterrichts und beschreibt ausgiebig, welche Bedeutung der Karzer im Schulalltag hatte. Ebenso bezeichnet er den Karzer als »poetisch fruchtbaren Boden«, hier hat er offenbar seine ersten literarischen Ideen zu Papier gebracht. Er beschreibt, wie er mit seinem Zellennachbarn aus dem Fenster aufs Dach klettert: »Ein wunderbarer Anblick belohnte mich. Da unten tief lag der große, stille, einsame Platz. Gegenüber das gewaltige Zeughaus. Nach rechts die Stadt mit ihren zahllosen Giebeln und Dächern, nach links der herrliche Wiesengrund mit den freundlichen Landhäusern; und fern am Himmelsrande die bewaldeten Höhen.« Es kann sich also nicht um den heute noch existierenden Universitätskarzer am Zeughausportal handeln, sondern um den Karzer des Gymnasiums, das sich für einige Jahre (1844-1876) auf der anderen Seite des Landgraf-Ludwig-Platzes befand. Nach Bezug des neuen Schulgebäudes an der Südanlage, zog hier das Kreisamt ein. Heute residiert an der Stelle das RP.

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Uni-Karzer_winterdkl_241_4c © Dagmar Klein
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Brandplatz_241222_4c © Dagmar Klein
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Ernst Eckstein zeitgenössisches Porträt © Dagmar Klein

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