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Teegeschäft „Tea Time“ in Gießen: Seit fast 25 Jahren für eine lebendige Innenstadt – Sorge um Zukunft

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Von: Christine Steines

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Eine belebte Innenstadt kann es nur mit solchen Geschäften geben: Beim „Tea Time“ wird noch auf Kundenzufriedenheit wert gelegt.

Gießen – Dieser Duft! Wer den Laden »Tea Time« im Neuenweg betritt, beginnt zu schnuppern. In den grünen Dosen des wandhohen Regals verbergen sich fast 200 Sorten Tee. Schwarze, weiße und grüne, aber auch viele Früchte- und Kräutertees. Inhaberin Cora Kirschner nimmt ihre Kunden gerne mit auf Entdeckungsreise - und das seit fast 25 Jahren.

Ein Darjeeling first flush soll es sein, so wie immer. Cora Kirschner füllt ein Tütchen ab, nebenbei unterhält sie sich mit ihrer Kundin über die Baustelle vor der Tür und deren kranken Vater daheim. Auch beim nächsten Türklingeln betritt ein Stammkunde den Laden, er sucht sich seine Lieblings-Früchtetees aus. Milchstraße, Orientalische Kostbarkeiten, Roter Johann. Die Inhaberin weiß, dass es nur säurearme Mischungen sein dürfen.

Gießen: Für eine lebendige Innenstadt braucht es Geschäfte wie „Tea Time“

Im »Tea Time« im Neuenweg ist der Anteil der Stammkundschaft groß, schildert Kirschner. Sie und ihr Mann Andreas Raulf betreiben das Geschäft seit fast 25 Jahren. Doch es gibt auch häufig Laufkundschaft, der Neuenweg liegt in der »Einflugschneise« zum Seltersweg. Dass der Geschäftsfrau alle Kunden willkommen sind, versteht sich von selbst, sie braucht beide Zielgruppen, damit sie ihren Laden wirtschaftlich führen kann. Leicht sei das in diesen Zeiten nicht, bekennt sie. Die Corona-Pandemie hat den Umsätzen schwer zugesetzt, obwohl der Laden auch während des Lockdowns geöffnet bleiben durfte. »Doch als die Innenstadt tot war, kamen auch zu uns kaum noch Kunden«, erinnert sich Kirschner.

Das »Tea Time« ist eines dieser kleinen Rädchen im großen Getriebe, das dazu beiträgt, dass eine Innenstadt attraktiv bleibt. Alle wünschen sich einen vielfältigen stationären Einzelhandel, dennoch unterstützen viele aus Bequemlichkeit den Onlinehandel. Daher brauchen die Geschäftsleute vor Ort Alleinstellungsmerkmale.

Die bestehen im »Tea Time« aus dem ausgewählten Sortiment, denn neben Teesorten aller Art gehören auch Teeservice aus Steingut und Porzellan sowie ein bisschen »Schnickschnack« rund um den Teegenuss zur Produktpalette. Vor allem ist es aber die Leidenschaft der Inhaberin, die sich den Kunden einprägt. Im Laden gibt es keinen Tee, den Kirschner nicht selbst probiert hat.

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Cora Kirschner und Andreas Raulf betreiben das Geschäft »Tea Time« im Neuenweg seit fast 25 Jahren. © Harald Friedrich

„Tea Time“ in Gießen: Von Flugtee, Orange Pekoe und Süßkraut

Für das Ehepaar Kirschner/Raulf, das über dem Geschäft im ersten Stock wohnt, sind die Verkostungen in der heimischen Küche eine liebgewordene Tradition. Für eine faire Beratung, sagt die Tee-Expertin, sei das unerlässlich. Ihr reiche es nicht, die Inhaltsstoffe zu kennen, sie wolle auch genau wissen, wie der erste Schluck eines Tees schmecke und wie sich das Aroma entfalte. »Man muss ihn einmal über die Zunge laufen lassen«, erklärt sie. Die Fachfrau ist offen für Experimente und neue Trends, aber zwei Zusätze kommen nicht in die Tüte: Tees, die mit Zucker oder Süßkraut angereichert sind. »Da mache ich keine Kompromisse«, sagt sie.

Kirschner nimmt ihre Kunden gerne mit auf eine virtuelle Erkundungstour durch Anbaugebiete in Ceylon, Indien oder China, sie kennt die Details englischer oder ostfriesischer Teezeremonien und hat sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene Tipps für die ideale Teezubereitung parat. Sie besorgt Kennern gerne den begehrten »Flugtee« und auch sie selbst freut sich in jedem Jahr auf diese Rarität, da die frisch nach der Winterpause gepflückten Blätter aus den Teegärten von Darjeeling ein »sensationelles Aroma« haben. Kirschner schätzt diese edlen Tees, gleichzeitig ist ihr jedoch überhebliches Expertentum ein Graus. Dass auch sie einmal »blutige Anfängerin« gewesen ist, vergisst sie nicht. »Als ich vor vielen Jahren meinen ersten Orange Pekoe gekauft habe, war ich erstaunt, dass er kein Orangenaroma enthielt«, sagt sie und lacht.

Sorge über die Zukunft im „Tea Time“ in Gießen

Der Ernährungswissenschaftlerin, die Mitte der 80er Jahre zum Studium nach Gießen kam, macht das Geschäft mit dem Tee immer noch Freude. Doch sie blickt auch mit Sorge in die Zukunft. Wegen des veränderten Käuferverhaltens und der strukturellen Probleme in der Innenstadt, aber auch wegen der Situation vor ihrer Haustür. In den vergangenen Wochen gab es mit der Baustelle ein paar Häuser weiter bereits einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt.

Im Neuenweg wird abschnittweise die Straße aufgerissen. »Wir müssen das Beste daraus machen«, sagt sie. Kirschner setzt darauf, dass die Stadt die Situation der Geschäftsleute berücksichtigt und die Nachbarn solidarisch mit einer Stimme sprechen. Abwarten und Tee trinken ist als Motto sicher keine schlechte Idee. (Christine Steines)

Für einen belebten Seltersweg ist der stationäre Einzelhandel wichtig. Sorge bereitet Gießen die ungewisse Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof.

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