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ICE in Gießen: Stiller Start in neue Bahn-Ära

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Von: Karen Werner

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Ab Sonntag verkehrt der ICE regulär durch Mittelhessen. Für die Fahrgäste bringt er mehr Komfort. Trotzdem hält sich die Freude in Grenzen.

Bisher rauschte der schnittige Paradezug nur bei Umleitungen ohne Halt durch Mittelhessen. Mancher Bahnfreund sah ihm wehmütig hinterher. Gießen galt als einer der größten Bahnhöfe bundesweit ohne ICE-Anschluss. Ab Sonntag hält der Intercity-Express alle zwei Stunden regulär in Gießen, Marburg und Friedberg. Die »Aufwertung« der Intercity-Linie Karlsruhe-Stralsund hat freilich ihre Tücken, vor allem für Pendler und Radtouristen. Vielleicht wegen der vielstimmigen Kritik startet die Deutsche Bahn in aller Stille in die neue Epoche: Es ist keinerlei ICE-Begrüßung geplant.

Wie berichtet, ersetzt der ICE-T – bis auf ein verbleibendes Zugpaar – die Intercity-Wagen, die bis zu 40 Jahre alt sind. Deren maroder Zustand hat die Reisenden oft genervt. Zu heiß, kein Bistro, Wagen 9 fehlt, Tür defekt, Reservierungsanzeigen ausgefallen: Solche Malaisen sind Alltag.

Neigetechnik ausgeschaltet

Im Vergleich dazu können sich die Nutzer auf mehr Komfort freuen mit W-Lan, Bordrestaurant und Ruhebereichen. Wie kürzlich bekannt wurde, ist allerdings nur jeder fünfte ICE in einwandfreiem Zustand. Und die Wagen vom Typ ICE-T sind auch schon etwa 15 Jahre alt. Sie werden jetzt für untergeordnete Verbindungen frei, weil sie auf den Hauptstrecken dem neuen ICE 4 weichen. Dass sie steilere »Schnauzen« haben als die Artgenossen und damit nicht ganz so schick wirken, ist kein Zufall. Der ICE-T war einst als IC für kurvige Strecken geplant.

Diese »Neigetechnik« ist gerade für die Main-Weser-Bahn gut geeignet. Doch sie bleibe ausgeschaltet, rügt der Wettenberger Bahnexperte Bernd d’Amour. Dies sei »der eigentliche Skandal« beim anstehenden Wechsel. Die Chance auf schnellere Reisezeiten werde vertan: Der ICE wird zu denselben Uhrzeiten verkehren wie bisher der IC und ist nicht flotter als mancher Regionalexpress. Diese Geschwindigkeiten seien schon vor über 50 Jahren erreicht worden, bemängelt d’Amour. Er fordert eine Nord-Süd-Verbindung über Gießen im Stundentakt mit Neigetechnik-Nutzung. Dies würde auch die stark frequentierte Schnellbahntrasse über Fulda entlasten.

Für die Betroffenen schmerzlich ist der Wegfall der geräumigen Fahrradwagen. Sie boten nicht nur Mitnahmemöglichkeiten für bis zu 16 Räder. Dort konnten auch Rollstuhlfahrer und Gäste mit sperrigem Gepäck – kürzlich gesehen: ein Mann mit Kontrabass – ohne Anmeldung Platz finden. Wie berichtet, sollen die ICE zwischen Frühjahr und Sommer mit je drei Fahrradplätzen nachgerüstet werden. Familien oder Gruppen werden wohl auf Nahverkehrszüge ausweichen, die freilich im Sommer häufig überfüllt sind. Man kann dort keine Radplätze reservieren.

Fahrpreise in der Kritik

Im Brennpunkt der Kritik stehen indes die Fahrpreise. Vor allem für Pendler bedeutet die »Aufwertung« eine deutliche Verschlechterung. Wer alle Züge zwischen Gießen und Frankfurt nutzen will, kann bisher eine IC-Aufschlagkarte zur RMV-Monatskarte dazukaufen. Dafür gilt eine Übergangsfrist bis Ende März. Danach müssen die Pendler entweder auf den ICE verzichten oder deutlich tiefer in die Tasche greifen. Eine Bahn-Monatskarte Gießen-Frankfurt plus Ergänzungskarten für den Stadtverkehr an Start und Ziel kostet bis zu 46 Euro mehr im Monat; und dies bei einschränktem Geltungsbereich. Ein Marburger hat im Internet eine Petition »Main-Weser-Bahn: ICE-Verbindung mit Zuschlag auf RMV-Tickets freigeben!« gestartet. Dieser Forderung schlossen sich bisher 170 Unterzeichner an.

Gelegenheits-Zugnutzer müssen sich wenig Gedanken machen: Sie kaufen ihre Fahrkarten in der Regel für eine bestimmte Zugverbindung und erhalten automatisch ein ICE-Ticket. Auch für sie wird es teurer. Die einfache Fahrt Gießen-Frankfurt im Fernverkehrszug kostet 19,50 statt 19 Euro. Die turnusgemäße Preiserhöhung der Bahn greift ab Sonntag, die des RMV ab 1. Januar.

Für Studierende der Gießener Hochschulen ändert sich nichts. Sie durften mit ihrem Semesterticket schon bisher nicht IC fahren; anders als die Marburger Kommilitonen, die nun auch die ICE-Berechtigung für 7,50 Euro mehr pro Kopf und Halbjahr erreicht haben.

Zwei IC pro Tag bleiben

Der ICE verkehrt im Zwei-Stunden-Takt sechsmal täglich pro Richtung. Erste Abfahrt in Gießen ist um 6.22 Uhr nach Süden, 7.33 nach Norden. Je eine Verbindung wird weiterhin von einem IC bedient, nämlich der 11.34-Uhr-Zug in Richtung Hamburg und der Abendzug in Richtung Frankfurt (18.22). Diese Züge verkehren von und nach Westerland auf Sylt. Ein Teil der Strecke in Schleswig-Holstein ist nicht elektrifiziert, daher kann dort kein ICE fahren.

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