„Erschöpft, müde, traurig“: Mitarbeiter erzählen von erschütternden Zuständen am Uniklinikum
Mitarbeiter schildern in einer virtuellen Veranstaltung die prekären Zustände am Uniklinikum Gießen. Viele Teilnehmer sind fassungslos, ob der Berichte.
Gießen (chh). Es sind erschütternde Zustände, die die Mitarbeiter des Gießener Uniklinikums schildern. Manche Patienten müssen in ihren Fäkalien liegen, weil kein Pfleger Zeit hat, sie zu säubern. Schwangere Frauen gebären ihr Kind auf der Toilette, erst im allerletzten Moment, unterstützt von einer Hebamme. Senioren, die im Sterben liegen, bitten darum, ihren letzten Atemzug nicht alleine nehmen zu müssen.
Vier Mitarbeiter des UKGM haben am Montagabend während einer Videokonferenz von ihrer durch Überlastung geprägten Arbeit erzählt. Über 200 Menschen sahen sich die Übertragung an, neben vielen UKGM-Angestellten und Verdi-Mitgliedern auch Vertreter der Stadtgesellschaft. Mit diesen und weiteren Aktionen wollen die Beschäftigten Druck ausüben. Sie fordern einen Entlastungs-Tarifvertrag. Mitte Dezember hatten die Beschäftigten der Rhön AG diesbezüglich ein 100-Tage-Ultimatum gestellt. Sollte dies ergebnislos verstreichen, wollen die Beschäftigten streiken.
Gießen: „Stadtgesellschaft nimmt Anteil an den beschriebenen Problemen“
Auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher nahm an der virtuellen Versammlung teil. »Die große Zahl an Menschen, die sich hier heute beteiligt, zeigt, dass die Stadtgesellschaft Anteil nimmt an den beschriebenen Problemen.«
Der Tarifvertrag Entlastung wäre in den Augen Bechers gleichermaßen Problemanzeige wie auch Lösungsweg. Dass diese Forderung nicht im luftleeren Raum stehe, zeige das Beispiel Frankfurt, sagte der Oberbürgermeister und erinnerte somit an den Tarifvertrag, auf den sich im Oktober Verdi und die Uniklinik Frankfurt geeinigt hatten. »Wir wissen also, dass es Möglichkeiten gibt.«

Becher berichtete zudem, dass ihn Mitarbeiter aus der Pflege erzählt hätten, dass der Beruf ihre Leidenschaft sei, sie ihn wegen der Überforderung trotzdem aufgeben würden. Das zeige: Gute Medizin benötige nicht nur Hightech, sondern auch Zeit, damit man von »Mensch zu Mensch« unterwegs sein könne.
Uniklinikum Gießen: Unterstützung von OB Becher
Davon gibt es im Klinikalltag jedoch immer weniger, darin sind sich viele der Beschäftigten einig. Die dramatischen Schilderungen einer Hebamme, die keine Zeit für Pausen habe, Überstunden wegen der Dokumentation machen müsse und abends oft nicht schlafen könne, weil sie an die Frauen denken müsse, die sie nicht richtig betreut habe. Die Hebamme hat daher ihre Stundenzahl reduziert. »Weil ich nach der Arbeit immer erschöpft, müde, unzufrieden, traurig und sauer war.«
Eine Auszubildende aus der Krankenpflege konnte ihrer Vorrednerin nur zustimmen. Die Vorstellung, andere Menschen in guten und in schlechten Zeiten bei ihren ersten Schritten oder auf dem letzten Weg zu begleiten, habe sie schon als Kind erfüllt. »Doch jetzt, nach eineinhalb Jahren meiner Ausbildung, merke ich, dass ich dafür gar keine Zeit habe.« Viel zu oft seien die Stationen unterbesetzt, viel zu oft müsse sie für Kollegen einspringen, viel zu selten würde ihr tatsächlich etwas beigebracht.
Gießen: Fassungslosigkeit in der virtuellen Runde
Die Schilderungen auch der anderen beiden Mitarbeiter sorgten bei einigen Teilnehmern der virtuellen Runde für Fassungslosigkeit. Zum einen über die Gefährdung der Patienten, zum anderen über die psychischen Auswirkungen auf die Mitarbeiter.
Durch einen Tarifvertrag Entlastung soll sich diese Situation verbessern. Um mehr Druck auszuüben, haben die Mitarbeiter eine Foto-Petition gestartet. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Internetseite www.krankenhausbewegung-ukgm.de. (chh)
Beim Neujahrsempfang der Mediziner ist von Lob und Respekt zu hören, von Zuversicht und Hoffnung. Dann tritt der Ärztliche Geschäftsführer des Uniklinikums Gießen ans Mikro.