„Kurzfristigkeit lässt uns keine Chance“: Ärger über neue Corona-Teststrategie
Corona-Tests kosten nun drei Euro. Für die Testcenter in Gießen ist die Bürokratie dadurch erheblich gestiegen. Die Folge: Kleinere Testcenter ziehen sich zurück.
Gießen – Muss ich vor dem Besuch bei der Oma im Heim »von Pontius zu Pilatus« laufen? Ist das Testcenter um die Ecke noch geöffnet? Kann ich den Eigenanteil bar zahlen? Das Ende des kostenlosen »Bürgertests« auf Corona kam quasi »über Nacht« und sei »nicht zu Ende gedacht«, ärgern sich sämtliche Verantwortliche in Gießen.
Die Zahl der Corona-Infektionen steigt, Familien leiden unter steigenden Preisen - jetzt kostet auch noch der Schnelltest oft Geld. »Die Leute sind bereit, drei Euro zu bezahlen«, sagt Christian Betz, Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes Marburg-Gießen. Doch dass die Bundesregierung die neue Testverordnung »quasi über Nacht« in Kraft gesetzt hat, sorge für erhebliche Belastungen und Bürokratieaufwand vor Ort. Das betonten bei einem Pressegespräch Vertreter von Behörden, Testcentern und Pflegeheimen.
Corona-Testverordnung in Gießen: „Kurzfristigkeit lässt uns keine Chance“
Wenige Tage nach der Information des Landkreistages und Stunden nach der offiziellen Veröffentlichung sei die neue Testverordnung in Kraft getreten, ärgert sich Landrätin Anita Schneider (SPD). »Diese Kurzfristigkeit lässt uns keine Chance, uns ordentlich darauf einzustellen. Vieles ist nicht zu Ende gedacht.«

In den Seniorenheimen seien die Folgen Ängste bei Angehörigen und erheblicher Mehraufwand für die Pflegekräfte, schilderte Jens Dapper, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Gießen. Auch im Namen der Kollegen richte er einen »Hilferuf« an Politik, möglichst schnell das Verfahren zu klären. Die ohnehin überlasteten Heime könnten nur stundenweise vor Ort testen, zumal der »Pflege-Rettungschirm« zur Finanzierung von Helfern ausgelaufen ist. Ob Besucher eine Bescheinigung des Heims brauchen oder eine »Selbsterklärung« reicht, werde von Testcentern unterschiedlich gehandhabt. Beim DRK und der Johanniter Unfallhilfe, den Betreibern der 20 offiziellen Center des Landkreises, reicht die »Selbsterklärung« aus. Schon aus Datenschutzgründen könnten sie die Angaben der Testwilligen - etwa den Mutterpass - nicht kontrollieren, sagen Betz und Marco Schulte-Lünzum, Vorstand der JUH Mittelhessen.
Corona in Gießen: Testcenter können Dienstleistung nicht abrechnen
»Wir werden unser Angebot aufrechterhalten im Kampf gegen die Pandemie«, verspricht Betz, und Schneider zeigt sich »dankbar«. Das sei keineswegs selbstverständlich. Schließlich kann im Moment kein Testcenter seine Dienstleistung abrechnen, weil sich die Kassenärztliche Vereinigung Hessen weigert, diese Aufgabe weiter zu übernehmen. Die neuen Vorgaben sind laut KV nicht mehr überprüfbar. Dass viele Center Bezahlsysteme zunächst nur provisorisch installieren konnten, kommt hinzu.
Schulte-Lünzum weist darauf hin, dass die Testcenter weiterhin wichtige Aufgaben übernehmen, für die sie teilweise gar nicht zuständig sind. Personen mit Corona-Symptomen sollten ihren Test eigentlich auf Kosten der Krankenkasse beim Hausarzt machen. Krankenhäuser müssten Patienten vor der Aufnahme selbst überprüfen, schickten sie aber oft in Testcenter.
Corona in Gießen: Kleinere Testcenter ziehen sich zurück
In den ersten Tagen war im Kreis Gießen nur ein leichter Rückgang zu verzeichnen; in den 16 DRK-Centern etwa von knapp 18 000 auf 17 000 Test pro Woche. Johanna de Haas, Sachgebietsleitung Hygiene im Kreisgesundheitsamt, macht sich dennoch Sorgen um sichere Sozialkontakte für Risikopatienten. »Ich gehe davon aus, dass Menschen mit geringem Einkommen sich weniger testen lassen.« Auch weil pro Test nur noch 9,50 statt 11,50 Euro erstattet werden, ließen einige kleinere Center ihren Betrieb ruhen oder - so eine kleine GAZ-Rundfrage - schränken Öffnungszeiten ein.
Betz erinnert an das Ziel: »Eigentlich wollen wir Infektionen vermeiden.« Stattdessen würden die Menschen »von Pontius zu Pilatus« geschickt. (Karen Werner)
Im Janauar 2022 sorgte ein Betrugsverdacht in einem Corona-Testzentrum in Gießen für Aufsehen.