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Gießener Kult-Kellner Vincenzo Laurito: „Wir müssen die Arbeit menschlicher machen“

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Von: Kays Al-Khanak

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Der Formal-1-Fan Vincenzo Laurito hat mit dem »Klein & Fein« am Brandplatz sein berufliches Zuhause gefunden. © Oliver Schepp

Vincenzo Laurito ist eines der Gesichter der Gießener Gastroszene. Eines seiner großen Anliegen: die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Gießen - Wer sich in der Gastronomie nicht durchbeißt, wird auf lange Sicht von ihr gefressen. Die Arbeitsbedingungen können familienunfreundlich sein; lange Abende, an Wochenenden und Feiertagen ist besonders viel los. Das sorgt dafür, dass nicht nur Fachkräfte, sondern generell Mitarbeiter in der Branche gesucht werden. Vor Jahrzehnten hat Vincenzo »Enzo« Laurito diese Entwicklung kommen sehen - und versucht, gegenzusteuern. Auch persönlich hat der Italiener, der seit fast 50 Jahre in der Gastronomie tätig ist, Konsequenzen gezogen, als er vor neun Jahren das »Klein & Fein« am Brandplatz in Gießen übernommen hat. »Ich mache dort, was ich gelernt habe«, sagt er. »Nur mit einem anderen Konzept.«

Laurito hat viele Gastronomen in Gießen kommen und gehen gesehen. Er hat Fachkräfte ausgebildet, die noch heute hier tätig sind. Er ist ein Urgestein der heimischen Gaststättenszene. 1975 kam er nach Gießen; er folgte seinen vier Brüdern, die ab 1967 aus Cannalonga, einem Dorf südlich von Salerno in Italien, nach Deutschland gezogen waren. Ihr Vater arbeitete bereits seit Ende der 50er Jahre in Gießen - nicht in der Gastronomie. Doch genau dort habe es ihn und seine Brüder hingezogen, erzählt Laurito bei einem Cappuccino im »Klein & Fein«.

Vincenzo Laurito: Als Kellner in Gießen Deutsch gelernt

»Ich bin im Löwen geboren worden«, sagt der heute 62 Jahre alte Laurito und lacht. Einer seiner Brüder hatte das Restaurant übernommen und dort authentische italienische Speisen angeboten. »Enzo«, wie ihn die meisten nennen, fing dort an, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen. Obwohl er bis heute gerne kocht, habe er nicht in der Küche, sondern im Service arbeiten wollen, erzählt er. Einer der Gründe: Er habe auf diese Weise schnell Deutsch lernen können. In der Küche hätte das nicht so schnell geklappt, sagt er und schmunzelt leise.

Bekannter Kollege

Geradezu legendäre Kellner gibt es in der Universitätsstadt einige. Zu den bekanntesten Gesichtern der Gießener Gastro-Szene zählt mit Sicherheit auch Marco Mazzeo, der nun seit zehn Jahren im Gianoli arbeitet.

Nach acht Jahren im Löwen wollte Laurito auf eigenen Beinen stehen. Zusammen mit einem seiner Brüder eröffnete er das »Frascati« an der Frankfurter Straße. 1992 übernahm er mit zwei Freunden »Pizza Pie« an der Licher Straße. Dort blieb er zehn Jahre; dann zog es ihn raus aus Gießen. Er arbeitete in Bad Homburg und Wiesbaden, später war er gastronomischer Geschäftsführer im Licher Golfclub. »Das Leben läuft nicht immer so geradlinig ab, wie man sich das vorstellt«, sagt Laurito. Nach seiner Rückkehr nach Gießen arbeitete er jeweils ein Jahr lang im Bootshaus und im Alt Gießen. 2013 dann übernahm er mit seiner damaligen Ehefrau das »Klein & Fein«. Ein Glücksfall für ihn.

Kult-Kellner aus Gießen: Für zwei Tage Pause gekämpft

Der Schwerpunkt in dem kleinen Laden am Brandplatz liegt auf dem Verkauf von italienischer Feinkost. Gäste können auch Kaffee, Sekt oder Wein trinken und ein Panini essen. Der Vorteil für Laurito: Geöffnet ist dienstags bis freitags von 8 bis 18 sowie samstags bis 15 Uhr. Geschlossen ist montags, sonn- und feiertags. »Früher habe ich zu diesen Zeiten immer gearbeitet« sagt er. »Das ist auf lange Sicht schwer mit der Familie oder dem Privatleben zu vereinbaren.«

Nun lebt Laurito im Grunde genommen das Leben, für das er bereits in den 80er Jahren gekämpft hatte - als Präsident der mittelhessischen Sektion des Vereins »Ciao Italia«, einer Vereinigung italienischer Gastronomen. »Ich wollte, dass sich die Arbeitszeiten verändern«, sagt er. »Wir müssen die Arbeit menschlicher machen.« Als Beispiel nennt er die Ruhetagsregelung. Ein Tag in der Woche stehe den Mitarbeitern zu. Nur: Wenn ein Kollege krank ist, legt dieser Ruhetag selbst einen Ruhetag ein. »Wir haben dafür gekämpft, zwei Tage Pause fürs Personal einzuführen«, erzählt Laurito, »aber wir hatten keinen flächendeckenden Erfolg.« Immerhin: Heute gebe es Gastronomen, die ihren Mitarbeitern eineinhalb Ruhetage anbieten. Der Vorteil: Das Personal bleibt dem Beruf treu.

Gastronom aus Gießen: „Die Gäste bestellen keine Nummern, sondern Speisen“

Und je länger die Mitarbeiter bleiben, desto mehr wissen sie über Essen, Zubereitung und Getränke Bescheid. Viele Aushilfen oder Ungelernte brächten dieses Grundwissen nicht mit, betont Laurito. Dies sei aber nötig, um den Gästen einen schönen Restaurantbesuch zu ermöglichen. »Die Gäste bestellen keine Nummern, sondern Speisen.« Wer Laurito zuhört, wie er über die unterschiedlichen Einflüsse und Mentalitäten in Italien referiert, wie er dabei 2000 Jahre in die Vergangenheit reist, der ahnt, was er damit meint.

Laurito steht im »Klein & Fein« vor dem Weinregal. Im Hintergrund sieht man ein großes Wandbild mit Fässern, davor ein Schild, auf dem »Piccola Italia« steht - Klein-Italien. Das Holz stammt von einem Kastanienbaum aus seinem kleinen Heimatdorf. Er streichelt gedankenverloren über das Schild, als er sagt: »47 Jahre in der Gastronomie, und ich habe nie mit der Idee gespielt, etwas anderes zu machen.« Die nächsten drei Jahre werde er auf jeden Fall weiterarbeiten. »Weil es mir Spaß macht.« (Kays Al-Khanak)

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