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Gießen: Bald S-Bahn zum Berliner Platz? - Stadt beschäftigt sich mit Thema

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Von: Burkhard Möller

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© Oliver Schepp

Straßenbahn, Regio-Tram oder Seilbahn: Diese Begriffe schwirren seit Monaten durch die Verkehrsdebatte. Nun haben sich die, die in Gießen die Entscheidungen treffen, erstmals mit dem schienengebundenen ÖPNV befasst. Das bestehende Schienennetz soll für eine Regio-S-Bahn genutzt werden - mit einem Straßenbahn- Abstecher zum Berliner Platz.

Am Ende der zweistündigen Sitzung wussten die Antragsteller der Linksfraktion selbst nicht, ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist. Während Fraktionschef Matthias Riedl enttäuscht seine Unterlagen zusammenpackte, traf sein Kollege Michael Janitzki im Foyer vor dem Sitzungssaal im Rathaus die Feststellung: »Es kommt Bewegung in die Sache.« Mit Sache ist die Frage gemeint, ob der schienengebundene Personennahverkehr in Gießen eine Zukunft haben wird. Ja und Nein lauten die Antworten nach der Sitzung des parlamentarischen Verkehrsausschusses am Dienstagabend.

Ja, weil das Gremium auf Antrag der SPD/CDU/Grünen-Koalition beschloss, dass die Stadt Gießen im Rahmen der Fortschreibung des Regionalen Nahverkehrsplans beim Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) drei neue Bahnhaltepunkte im Gießener Stadtgebiet beantragen wird. Einen vor der Gleisgabel Aulweg/Ebelstraße, bevor die Lahn-Kinzig-Bahn und die Vogelsbergbahn auseinanderlaufen. Einen weiteren am früheren US-Depot (Vogelsbergbahn) und einen dritten im Norden an der Main-Weser-Bahn.

Nein, weil die Ausschussmehrheit den Antrag der Linken auf Erstellung einer extern zu vergebenden Machbarkeitsstudie für eine regionale S-Bahn zwischen Wetzlar und Marburg mit Straßenbahnanschlüssen in die Gießener Innenstadt ablehnte. Stattdessen soll nun die Stadtverwaltung selbst eine Schätzung vorlegen, was ein Comeback der innerstädtischen Straßenbahn kosten würde.

20 Millionen - ein Kilometer

Die Vermutung liegt nahe, dass dabei, je nach Streckenlänge, eine Summe im hohen zweistelligen oder gar dreistelligen Millionenbereich herauskommen wird, mit der den Straßenbahn-Visionen wohl der Garaus gemacht würde. Zumal die Stadt seit zwei Jahren an einem neuen Verkehrsentwicklungsplan (VEP) arbeitet, in dem der schienengebundene Nahverkehr, soweit er - wie die Straßenbahn - Straßenraum im Innenstadtbereich beansprucht, keine Rolle spielt. Angesichts komplexer Fragestellungen könne man eine Straßenbahn mit Kilometerkosten zwischen »zehn und 20 Millionen Euro« nicht einfach in den VEP-Prozess integrieren, hatte im März der städtische Verkehrskoordinator Ralf Pausch bei einer Sitzung der Agenda-Gruppe »Nachhaltige Mobilität« erklärt. »Da stellen sich ja auch so Fragen wie: Wo parkt die denn?«, meinte Pausch. Ein Argument, das am Dienstag Christian Heimbach (SPD) aufgriff und meinte, es sei kein Platz für ein Straßenbahn-Depot.

Ein Trostpflaster für die Fans der Straßenbahn gab es von Grünen-Stadträtin Gerda Weigel-Greilich, die im Aufsichtsrat des RMV sitzt. Sie hält es für denkbar, dass man am US-Depot ein Gleis aus der Vogelsbergbahn ausfädelt und eine Straßenbahn-Linie über die Rödgener und Grünberger Straße bis zum Berliner Platz führt. Damit könnte die stark frequentierte Buslinie 1 entscheidend entlastet werden, sagte Weigel-Greilich.

Für die drei neuen Bahnhaltepunkte und einen möglichen Straßenbahn-Abstecher aus dem wachsenden Gießener Osten in die Stadtmitte hat die Koalition den Begriff »Regio-S-Bahn« gefunden. Die lässt sich nach Überzeugung von SPD-Fraktionschef Christopher Nübel vergleichsweise schnell umsetzen, während er bezüglich einer innerstädtisch verkehrenden Straßenbahn von einem »langfristigen Ziel« spricht. Das Regionale am jetzt beschlossenen Arbeitsauftrag für den Magistrat besteht aus Sicht der Koalition in den Anschlussmöglichkeiten auch an die Lumdatalbahn (über Lollar) und die Horlofftalbahn (über Hungen), deren Reaktivierungen gerade betrieben werden.

Anfreunden mit dem Konzept können sich auch AfD, FDP und Freie Wähler, die der Einrichtung neuer Bahnhaltepunkte im Ausschuss zustimmten. Innerstädtischen Straßenraum für Straßenbahnen abzuzwacken, wie es das Konzept der Initiative Gießen autofrei vorsieht, lehnen nicht nur diese Fraktionen dagegen ab. »Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe«, polterte Heiner Geißler, Fraktionschef der FW.

Beziffert in Euro wird dieser »Schwachsinn« nach dem Beschluss vom Dienstagabend nun durch die städtische Fachverwaltung. Nach den Debatten der letzten Monate erwarteten die Bürger, »dass wir das exemplarisch und modellhaft prüfen«, sagte Weigel-Greilich.

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