Bahnverkehr in Gießen: Ja zu drei neuen Haltepunkten - Straßenbahn vom Tisch?

Mit neuen Haltepunkten an bestehenden Zugstrecken will die Gießener Stadtpolitik eine Schnellbahn schaffen. Ein Comeback der Straßenbahn scheint vom Tisch zu sein.
»Sie wollen den Leuten nicht so deutlich sagen, dass Sie das für Schwachsinn halten und dafür kein Geld ausgeben, deshalb lassen Sie die Kosten jetzt von der eigenen Verwaltung prüfen.« Heiner Geißler, Fraktionschef der Freien Wähler im Stadtparlament, kam der Wahrheit am Mittwochabend im Stadtparlament, das über die Zukunft des schienengebundenen Nahverkehrs in Gießen diskutierte, wohl nahe. Mit den vorgestern getroffenen Beschlüssen dürfte feststehen, dass es in Gießen kein Comeback der Straßenbahn geben wird. Um zügig zu mehr Transportkapazität im Nahverkehr zu kommen, setzt die Stadtpolitik auf den Bau neuer Zughaltepunkte.
So beschloss das Stadtparlament mit großer Mehrheit, dass die Stadt Gießen im Rahmen der Fortschreibung des Nahverkehrsplans des Rhein-Main-Verkehrsverbunds drei zusätzliche Haltepunkte an bestehenden Zugstrecken anmeldet: am US-Depot (Vogelsbergbahn), in der Gleisgabel zwischen Riegelpfad und Gnauthstraße, wo die Vogelsbergbahn und die Lahn-Kinzig-Bahn verlaufen, sowie an der Main-Weser-Bahn nördlich des Haltepunkts Oswaldsgarten in der Wiesecker Gemarkung. Ein solcher Haltepunkt indes läge weit außerhalb der Wohnbebauung.
Zum jetzigen Zeitpunkt sei dies »die schnellste und kostengünstigste Lösung«, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Nübel. Den Worten von Bettina Speiser (Grüne) war zu entnehmen, dass sich die Koalition von neuen Bahnhaltepunkten auf einer innerstädtischen Schnellbahn erstens eine Entlastung des Stadtbusverkehrs und zweitens einen Anreiz für Pendler aus dem Umland verspricht, das Auto stehen zu lassen, wenn sie in der Innenstadt oder im boomenden Ostviertel in den Nahverkehrszug ein- und aussteigen können. Speiser nannte den Haltepunkt Licher Straße als Beispiel, der vor allem von vielen Studenten und Schülern genutzt wird, um innerhalb von drei Minuten zum Bahnhof zu kommen. Die Stadtbuslinie 2 braucht für diese Strecke rund 20 Minuten.
Radverkehr rückt in den Fokus
Angemeldet werden sollen die drei Bahnhaltepunkte beim RMV unter der Überschrift »Regio-S-Bahn«, wobei das Regionale die Anbindung an die drei Nahverkehrsstrecken nach Fulda, Gelnhausen/Friedberg (über die Horlofftalbahn) sowie Marburg/Lumdatal (über die Lumdatalbahn) wäre.
Für die CDU betonte Dorothé Küster, die Koalition und mithin die Union »flüchten nicht vor der Debatte«, sondern suchten nach praktikablen Lösungen. Eine »RegioTram«, deren technische und finanzielle Machbarkeit die Linksfraktion beantragt hatte, ist das aus Sicht der Mehrheit nicht. Auch von der Aufzählung durch Linken-Fraktionschef Matthias Riedl, der eine ganze Reihe deutscher Städte nannte, die die Straßenbahn wieder eingeführt hätten, zeigten sich die Mehrheit und der Magistrat unbeeindruckt. »In diesen Städten war das Schienennetz dafür schon vorhanden«, sagte Stadträtin Gerda Weigel-Greilich (Grüne).
Deutlicher wurde FW-Mann Heiner Geißler.:»Die Schienen wieder einzubauen, die in den 1960er Jahren rausgerissen wurden, ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe.« Martin Preiß (FDP) pflichtete bei, dass im Gießener Straßenraum schlicht der Platz für ein Straßenbahnsystem fehle. Seinen Vorschlag, alternativ eine Hoch- oder Seilbahn zu prüfen, wurde abgelehnt.
Die Straßenbahndebatte dürfte spätestens mit der Vorlage der beim Magistrat beantragten Kostenschätzungen, was ein Comeback kosten würde, beendet sein. In den Fokus scheint nun der Radverkehr zu rücken. Nach den Grünen gab es am Mittwochabend auch von der SPD die Ansage an CDU-Verkehrsdezernent Peter Neidel, die im Koalitionsvertrag verankerte Planung für Radstreifen am Anlagenring vorzulegen. »Das erwarten wir«, sagte Nübel und will zudem »bald Ergebnisse«, was die Vorlage eines neuen Verkehrsentwicklungsplans betrifft. Der SPD-Fraktionschef erwartet so oder so kontroverse Diskussionen mit der Bevölkerung: »Es wird Konflikte und Gegenwind geben. Das ist bei der Energiewende so, und das wird bei der Verkehrswende nicht anders sein.«