Traditionsfirma aus Gießen im Umbruch - Vor 125 Jahren mit Pferdekutschen gestartet
Das Unternehmen Spies Fahrzeugbau in Gießen gibt es schon seit 125 Jahren - auch wenn damals andere Fahrzeuge im Fokus standen. Seit Corona hat sich die Hauptaufgabe der Firma jedoch gewandelt.
Gießen - Im Ursulum fliegen Funken - und das ist wörtlich zu verstehen. In der Werkstatt der Firma Spies Fahrzeugbau aus Gießen bearbeitet Firmenchef Stefan Spies mit dem Schweißgerät gerade ein Metallgestell. »Das wird ein Spezialaufbau für ein Unternehmen aus der Umwelttechnik, das Schmutzwasser aufbereitet«, erklärt Sven Spies, der das Unternehmen zusammen mit seinem Vater leitet. Derartige Aufbauten, die maßgefertigt werden und in keinem Katalog bestellt werden können, sind die Kernaufgabe des Unternehmens.
Heinrich Spies hätte beim Blick in die Werkstatt vermutlich die Feuerwehr gerufen. Als der Ururgroßvater von Sven Spies die Firma vor 125 Jahren gründete, gab es keine Schweißgeräte - und keine Lastwagen auf den Straßen Gießens. »Er besaß eine Wagnerei, hat Pferdekutschen repariert und Holzräder hergestellt«, sagt Sven Spies, der selbst vor zehn Jahren in der Firma anfing, seinen Meister als Karosserie- und Fahrzeugbauer machte und 2017 in die Geschäftsleitung aufstieg.
Firma Spies Fahrzeugbau aus Gießen: Lieferschwierigkeit und Personalmangel
Nach der Gründung des Unternehmens im Jahre 1897 bekam es Heinrich Spies mehr und mehr mit Metall statt Holz zu tun. Mit der Zeit wurden die ersten Mitarbeiter eingestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte das Unternehmen dann durch die Stationierung der amerikanischen Soldaten in Gießen. Friedrich Spies sen., der Sohn des Firmengründers, setzte für die GIs die Militärfahrzeuge instand.

In den 1980er Jahren kaufte das Unternehmen dann das Gebäude im Ursulum und zog von der Westanlage an jenen Standort um, an dem die Firma noch heute anzutreffen ist. »Wir haben hier rund 8000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung«, sagt der 30-jährige Spies, »also genügend Platz für die Umbauten großer Fahrzeuge.«
Einem Golf baut das Spies-Team, zu dem neben den beiden Chefs auch zwei Gesellen, zwei Lehrlinge und ein Helfer gehören, eher selten etwas auf die Karosserie. »Wir arbeiten hauptsächlich an Lastwagen ab 3,5 Tonnen aufwärts«, sagt Sven Spies. Kunden beziehungsweise Autohäuser würden dafür die Fahrgestelle liefern, auf die das Team dann zum Beispiel Kofferaufbauten, Pritschenaufbauten, Kranaufbauten oder Kipper montiere. Die meisten Aufträge stammten von Kunden aus dem Nutzfahrzeugbereich, mitunter würden aber auch Privatkunden die Dienste der Firma in Anspruch nehmen, zum Beispiel, wenn sie einen Transporter für Campingzwecke ausbauen wollten. Generell würden die Materialien selber handwerklich hergestellt, teilweise kämen auch Baugruppen zum Einsatz.
Firma Spies Fahrzeugbau aus Gießen: Umsatz zuletzt bei einer Million Euro
Der Fahrzeugbau ist jedoch nur ein Standbein des Unternehmens. Die Instandsetzung, auch nach Unfällen, Karosserie- und Lackschäden habe in der Vergangenheit einen immer höheren Stellenwert eingenommen. Notgedrungen, wie der Junior-Chef betont.
Die gesamte Automobil- und Nutzfahrzeugbranche leidet seit dem Ausbruch der Pandemie unter Lieferschwierigkeiten. Das geht auch an der Spies Fahrzeugbau GmbH nicht spurlos vorbei.
»Die Lieferengpässe haben mit Corona angefangen und sich seitdem immer weiter zugespitzt«, sagt Sven Spies und betont: »Wir kriegen einfach keine Fahrgestelle mehr.« Das liege unter anderem daran, dass Produzenten wie Mercedes, MAN, Scania oder Iveco ihre Werke zwischenzeitlich teilweise schließen mussten. »Die Bestellungen sind aufgelaufen, die Produktion kam nicht hinterher.« Und da die Kunden mitunter lange auf die Rohlinge warten müssten, würden sie in der Zwischenzeit bestehende Fahrzeuge instand setzen. »Daher konzentrieren auch wir uns seit Corona darauf«, sagt der 30-Jährige.
Firma Spies Fahrzeugbau aus Gießen: Fahrgestelle fehlen, aber auch Personal, doch Umsatz steigt
Mit derart Problemen haben viele Branchen zu kämpfen. Das gleiche gilt für den Fachkräftemangel. »Der Markt ist so ausgedünnt, dass wir immer wieder auf Helfer zurückgreifen müssen«, sagt Sven Spies. Sein Unternehmen sei daher stets auf der Suche nach potenziellen Lehrlingen für den Beruf des Karosserie- und Fahrzeugbauers, aber auch gelernte Schlosser, Metallbauer oder Landmaschinenmechaniker seien willkommen.
Für das Unternehmen ist das eine doppelte Belastung: Auf der einen Seite fehlen Fahrgestelle, auf der anderen Seite das zur Verarbeitung benötigte Personal.
Trotz dieser Herausforderungen will Sven Spies nicht klagen: Der Umsatz sei in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, vergangenes Jahr habe er bei zirka einer Million Euro gelegen. Dafür hätte Ururgroßvater Heinrich Spies ziemlich viele Pferdekutschen reparieren müssen. (Christoph Hoffmann)