1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Das »Essiggässchen« bleibt Geschichte

Erstellt:

Von: Burkhard Möller

Kommentare

Stadtgeschichte im „Essiggässchen“: Razzia im Riegelpfad.
Stadtgeschichte im Gießener „Essiggässchen“: Razzia im Riegelpfad. © Archiv

Mit dem Namen »Essiggässchen« verbinden ältere Gießener scharfe Sachen und einen spektakulären Polizeieinsatz. Das Kapitel ist nun auch amtlich beendet.

Gießen – Es wäre eine schöne Frage für unser Sommerquiz »Kennen Sie Gießen?«: Wohin führt dieser gesperrte Pfad? Wahrscheinlich kämen etliche Mitspieler bei der Ansicht des Fotos nicht unbedingt auf den Riegelpfad. Denn es ist schon fast 50 Jahre her, dass man von der östlichen Alicenstraße einen schmalen Weg hoch zur Riegelpfad gehen konnte, unter den Gleisen der beiden Regionalbahnstrecken hindurch.

Einer möglichen Wiederöffnungsdiskussion hat die Stadt nun endgültig einen Riegel vorgeschoben. In einer amtlichen Bekanntmachung teilte das Tiefbauamt mit, dass das »Essiggässchen« gemäß hessischem Straßengesetz als »öffentliche Verkehrsfläche« eingezogen worden ist.

„Essiggässchen“ in Gießen: „Entziehen diesen Teil der öffentlichen Nutzung“

Wie Stadtsprecherin Claudia Boje erläutert, habe der Fußweg im Zuge der Neubebauung an der Alicenstraße - nach dem Abriss der alten Essig- und Senffabrik Hans Quambusch zu Beginn der 2000er Jahre - seine Erschließungsfunktion bereits verloren. Boje: »Deshalb entziehen wir diesen Teil nun der öffentlichen Nutzung. Die weitere Nutzung bis zu dem verschlossenen Bauwerk der Deutschen Bahn wäre sinnlos.« Der Durchlass selber und der Treppenaufgang zum Riegelpfad gehörten der Bahn, befänden sich auf dem Grundstück der DB Netz AG und seien in keinem verkehrssicherem Zustand. Auch bei einer Sanierung entspräche der Durchlass nicht den Anforderungen an einen Fußweg. Vielmehr entstünde in dem verwinkelten Treppenaufgang ein »Angstraum«, erläuterte Boje.

Gießen-Kenner verbinden mit dem »Essiggässchen« neben der Firmengeschichte Quambusch den wohl spektakulärsten Polizeieinsatz in der Gießener Nachkriegszeit. Aus einem unbemerkt vorgefahrenen Güterzug kletterten im Ende August 1973 plötzlich rund 200 Beamte, um im »Scarabée« eine Razzia, die der Drogenszene galt, duchzuführen. Zu den Folgen der legendären Aktion gehörte schließlich auch, dass die Fußweg-Verbindung zwischen Alicenstraße und Riegelpfad geschlossen wurde.

Gießen: Wiedereröffnung des „Essiggässchen“ scheitert bereits 1992

Danach wurde es ruhig um das »Essiggässchen«, ehe Ende 1992 der Versuch einer Wiederöffnung magistratsintern scheiterte. 2005 setzten die damals in der Opposition sitzzenden Grünen das Uraltthema wieder auf die stadtpolitische Tagesordnung und beantragten die Prüfung der Wiederöffnung. Begründung: Das »Essiggässchen« könnte Teil einer verkehrsarmen Fußgängerroute zwischen Südviertel und Innenstadt sein, dies bei Umgehung der lästigen Bahnschranke in der Frankfurter Straße. Der Antrag fand aber keine Mehrheit.

Auf Anraten der Polizei war der Durchgang unter der Bahnlinie vor fast 50 Jahren an einer Seite zugemauert und auf der anderen mit einem Eisengitter versperrt worden. Aus Sorge davor, dass der »Tunnel« und die schwer einsichtige Gasse als Drogenumschlagplatz genutzt werden könnten, hatte die Polizei auf Nachfragen der Stadt in den folgenden Jahren wiederholt davon abgeraten, diese Fußgänger-Abkürzung wieder benutzbar zu machen.

MOELLERSIEBEN-B_101541_1_4c_1
Das Firmengebäude Quambusch im „Essiggässchen“. © Red

Gießen: Bebauungsplan sah Öffnung vor

Anfang 1991 hatte die Stadtverordnetenversammlung jedoch den Bebauungsplan »Ludwigstraße« beschlossen, der ausdrücklich die Wiederöffnung des »Essiggässchens« vorsah. Dadurch fühlte sich der damalige Stadtbaurat Ekkehard Dammann (Grüne) ermächtigt und ermutigt, diesen Schritt auch zu vollziehen. Das Tiefbauamt beseitigte deshalb Ende 1992 Mauer und Gitter, bei den Stadtwerken war eine Beleuchtung für den Durchgang bestellt worden. Der Fehler des Baudezernenten war allerdings, dass SPD-Oberbürgermeister Manfred Mutz von der auch ordnungsrechtlich relevanten Maßnahme erst aus dieser Zeitung erfuhr. Außerdem protestierte der Spirituosenfabrikant Klaus Quambusch als hauptbetroffener Anlieger gegen die Wiederfreigabe, weil er fürchtete, dass sich Obdachlose dort niederlassen würden.

Die Einschätzung bei der hiesigen Polizei war damals nicht einheitlich: Die Drogenfahnder befürchteten eine Rückkehr der offenen Rauschgiftszene, während die Chefetage, die 1988 noch gewarnt hatte, nunmehr keine Sicherheitsbedenken mehr geltend machte. Mutz schloss sich den Skeptikern an und sprach, nachdem der Durchgang einen Tag lang geöffnet war, ein Machtwort - auch wegen der Gefahr von Raubüberfällen in dem »Tunnel«. So blieb es beim Status quo, der sich vor rund 20 Jahren durch den Abriss des Quambusch-Gebäudes änderte. Praktisch hatte sich damit eine Wiederöffnung eigentlich erledigt.

Das Thema kam vor vier Jahren gleichwohl kurz wieder hoch, als bei einer Begehung im Zusammenhang mit der Rahmenplanung »Grüner Anlagenring« die Wiederöffnung des Wegs von einem Bürger angeregt wurde.

Auch interessant

Kommentare