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Langes Warten auf das Elterngeld in Gießen

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Von: Sebastian Schmidt

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Mehr Mut zum Kinder kriegen wollte der Gesetzgeber mit dem Elterngeld erreichen. Doch die Bearbeitung der Anträge und damit die Auszahlung der Gelder zieht sich in Gießen über Monate in die Länge.

Gießen - »Kinder muss man sich leisten können«, ist zwar eine alte Binsenweisheit - aber trotzdem aktuell. Paare, die einen Kinderwunsch haben, müssen sich oft nicht nur Gedanken machen, ob sie zukünftig einen weiteren kleinen Menschen finanzieren können, sondern auch, wie sie die ersten Monate nach der Geburt bestreiten. Eigentlich ist genau für diese Situation das Elterngeld eingeführt worden: Eltern erhalten bis zu 14 Monate zwischen 65 und 100 Prozent ihres Voreinkommens. Auch wer gar kein Einkommen hatte, bekommt einen Mindestbetrag von 300 Euro. Doch die Bescheidung der Anträge dauert bisweilen so lange, dass es für manche zum Problem wird. Verantwortlich für die Bearbeitung in Hessen sind die sechs Elterngeldstellen der Hessischen Ämter für Versorgung und Soziales (HAVS). Die Fachaufsicht über diese hat das Regierungspräsidium Gießen (RP).

»Im 1. Quartal 2022 betrug die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Elterngeldantrages in der Elterngeldstelle des HAVS Gießen 61 Kalendertage«, sagt Thorsten Haas, Pressesprecher des RP. Den Antrag deswegen frühzeitig vor der Geburt abzugeben, um eine unterbrechungsfreie Auszahlung zu erreichen, funktioniert aber nicht. Denn die Unterlagen können erst nach der Geburt des Kindes abgegeben werden. Haas sagt: »Die Geburt und damit die Existenz des Kindes ist die unabdingbare Voraussetzung für die Beantragung von Elterngeld.«

Manche Familien müssen sich einen finanziellen Puffer ansparen, bevor der Nachwuchs auf die Welt kommt, weil die Bearbeitung der Elterngeldanträge Monate dauert.
Manche Familien müssen sich einen finanziellen Puffer ansparen, bevor der Nachwuchs auf die Welt kommt, weil die Bearbeitung der Elterngeldanträge Monate dauert. © Red

Die langsame Bearbeitung stellt zwar nicht alle, aber doch manche Menschen vor Probleme, wie Roman Röttger, der stellvertretende Leiter der Beratungsstelle Pro Familia Gießen erklärt. »Für Frauen ist es oft relativ entspannt«, sagt er. Wenn die vor der Geburt gearbeitet haben und Anspruch auf Mutterschaftsgeld haben, werde das noch zwei Monate nach der Geburt gezahlt. Sollte die Bearbeitungsdauer des Elterngeldes diese Zeit nicht übersteigen, gebe es meist keine Versorgungslücke. Anders sehe das bei Studierenden, Hausfrauen oder Männern aus, die alle kein Mutterschaftsgeld erhalten. Der Berater sagt: »Bei denen ist es völlig unrealistisch, dass sie im ersten Monat Geld bekommen.«

Gießen: Bezahlter Urlaub statt Elternzeit

Das stelle dann zum Beispiel die Väter oft vor die Überlegung, ob sie überhaupt den ersten oder zweiten Monat Elternzeit nehmen können, wenn die Familie dann kein Einkommen hat. »Einige beantragen den ersten Monat deswegen lieber bezahlten Urlaub anstatt Elternzeit«, sagt Röttger. Die andere Lösung sei es, sich vorher einen Puffer anzulegen, was aber nicht allen Familien möglich ist.

Die 61 Tage Bearbeitungsdauer sind nur ein Durchschnittswert und so geht es manchmal ein wenig schneller, manchmal aber auch deutlich langsamer. Das RP erklärt, dass man bei der hohen Anzahl von über 80 000 Anträgen pro Jahr durchaus von einem »Massenverfahren« sprechen könne. Haas sagt aber: »Alle Antragsteller haben bei der Festlegung der zustehenden Elterngeldzahlung ein Anrecht auf eine individuelle Berücksichtigung ihrer finanziellen Situation.« Und schwierige Sachverhalte führen zu einem »deutlichen Mehraufwand«. Dazu zählt im Moment zum Beispiel auch die Berücksichtigung der gesetzlich geschaffenen Sonderregelungen aufgrund der Corona-Pandemie.

Elterngeld in Gießen: Lange Bearbeitungsdauer auch durch Personalsituation

Und auch wenn das RP zugibt, dass die Personalsituation in den HAVS ebenfalls für die Bearbeitungsdauer verantwortlich ist, nennt die Behörde schließlich keine Antwort auf die Frage, wie viele Mitarbeiter mit der Antragsbearbeitung in den einzelnen Ämtern betraut sind.

Was Eltern letztlich machen können, um die Bearbeitung zu beschleunigen, sei, ihren Antrag vollständig abzugeben. Der RP-Sprecher sagt: »Jede Nachermittlung durch die Elterngeldstelle führt zu nicht unerheblichen Zeitverzögerungen.« Ansonsten müssen sich Betroffene für die Bearbeitungszeit »auf jeden Fall zunächst selbst vorfinanzieren«. Einen Härtefall-Vorschuss für Familien, die sich das nicht leisten können, gebe es aber nicht.

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