Doch kein Video-Notruf im Schmuddeltunnel – Zäune und Heckenschnitt für mehr Sicherheit
Die Verbesserung der Sicherheit im Tunnel an der Bahnhofstraße war eines der ersten Projekte der neuen Stadtkoalition in Gießen. Der Datenschutz bremst sie nun aus.
Gießen - Die Zettel auf den Eingangstüren zu den modernen Wohnblocks am früheren Güterbahnhof in Gießen sind schon etwas ausgebleicht und verknittert. »Bedrohungssituationen in der Unterführung Sieboldstraße« lautet die Überschrift des Aufrufs des städtischen Büros für Frauen und Gleichberechtigung. Aufgehängt worden waren die Aufrufe schon vor längerer Zeit im Zusammenhang mit Bestrebungen der Stadt, die Sicherheit in dem Schmuddeltunnel zu verbessern, der auf dem Fußweg von der Bahnhofstraße zur Lahnstraße bzw. dem neuen Wohngebiet an der Sieboldstraße durchquert werden muss.
Denn es gab Meldungen über mehr oder weniger massive Belästigungen in diesem Bereich, zuletzt Ende Juli. Neben tätlichen sexuellen Angriffen und Belästigungen wie sogenannten Catcalls ging es auch um Raub und Diebstahl. »Um das Ausmaß der Gefährdung deutlich zu machen, benötigen wir dringend einen besseren Überblick, wie viele bzw. welche Übergriffe es gab«, schrieb das Frauenbüro in seinem Aufruf.

Mittlerweile ist klar, dass es keine technische Lösung geben wird, um die Sicherheit in dem Bereich zu verbessern. Die Installierung einer Kombination aus Notruf und Videoüberwachung, für die sich das Gießener Stadtparlament auf Initiative der Grünen-Fraktion in einem seiner ersten Beschlüsse nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2021 ausgesprochen hatte, ist aus Datenschutzgründen nicht realisierbar. Dies hat Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) den Fraktionen Ende Juli mitgeteilt. Unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Hessischen Datenschutzbeauftragten, die der Magistrat eingeholt hatte, erklärte der Ordnungsdezernent: »Zusammengefasst geht aus der Stellungnahme hervor, dass das ›LISA-System‹ nicht mit den Datenschutzvorschriften vereinbar ist.«
Schmuddeltunnel in Gießen: Zu wenige Straftaten für eine Videoüberwachung
Da auch eine Videoschutzanlage gemäß dem Hessischen Polizeigesetz (HSOG) nicht inFrage komme, da es sich bei dem Tunnel nicht um einen Kriminalitätschwerpunkt handele, schieden technische Lösungen zur Erhöhung der Sicherheit aus. Wie Wright erklärte, seien bei der Polizei im Zeitraum von 2019 bis zum Februar 2022 »lediglich vier Strafanzeigen« registriert worden. Dies reiche nicht aus für eine HSOG-Videoüberwachung. Fußweg und Tunnel seien zwar als »Angstraum« identifiziert worden, aber auch diese Einstufung rechtfertige laut dem Datenschutzbeauftragten keine Videoüberwachung.
Die Stadt Gießen habe daher in letzter Zeit einige andere Maßnahmen ergriffen, zudem seien Ordnungs-, Bundes- und Landespolizei gebeten worden, den Bereich häufiger zu bestreifen. Am Weg sei eine weitere Leuchte angebracht und die bestehende Beleuchtung gesäubert worden. Einige Ecken, in denen kriminelle Passanten auflauern könnten, seien mit Zaunelementen zugebaut worden. Zudem seien auf der Wieseckseite des Wegs Hecken geschnitten worden, um die Sicht zu verbessern. Dieser Schnitt soll regelmäßig wiederholt werden.
Videoüberwachung in Gießen diskutiert: Dank „LISA“ Räuber in Marburg gefasst
Die Stadtverordneten hatten Ende Mai 2021 den Beschluss zur Einführung eines »LISA«-Notrufs gefasst. »LISA« steht für Livebild- und Sprechverbindung auf Abruf und ist im Grunde eine Videoüberwachung auf Knopfdruck. Wer einen mit »LISA« ausgestatteten Bereich betritt, kann Kameras und ein akustisches Signal aktivieren. Die Live-Bilder gehen bei der Leitzentrale der Feuerwehr ein, die im Notfall Polizei und Rettungsdienst alarmieren kann.
Die Grünen im Gießener Stadtparlament hatten den Marburger »Jägertunnel«, eine Gleisunterführung zwischen zwei Straßen, zum Vorbild genommen. Dort scheint das vor vier Jahren installierte System trotz der negativen Auskunft des Datenschutzbeauftragten noch in Betrieb zu sein. Im Mai meldeten Polizei und Staatsanwaltschaft in Marburg nach einem Überfall auf eine 25-jährige Frau einen Fahndungserfolg - auch dank »LISA«. Das Opfer hatte den Notruf und damit die Video-Liveübertragung ausgelöst, wodurch der Täter aufgenommen wurde und festgenommen werden konnte. (Burkhard Möller)