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Ausnahmezustand in Gießen: „Querdenker“-Großdemo mit Kinderthemen angemeldet

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Von: Burkhard Möller

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Mittlerweile ein Gießener Montagabend-Ritual: Corona-Demonstranten gehen im Seltersweg durch ein Spalier von Gegendemonstranten.
Mittlerweile ein Gießener Montagabend-Ritual: Corona-Demonstranten gehen im Seltersweg durch ein Spalier von Gegendemonstranten. © Oliver Schepp

Am 19. Februar, wird in Gießen wohl der Ausnahmezustand herrschen. Gleich zwei größere Demonstrationen sind angemeldet worden.

Gießen – »Querdenker« wollen unter dem Motto »Für unsere Kinder« mit 2000 Personen durch die Stadt ziehen. 800 Teilnehmer werden am zweiten Jahrestag beim Gedenken für die Opfer des Anschlags von Hanau erwartet.

Es ist schon fast ein Ritual geworden: Bei nasskaltem Wetter zogen am frühen Montagabend wieder sogenannte »Spaziergänger« bei einer ordnungsgemäß angemeldeten Versammlung durch die Gießener Innenstadt. Diesmal waren es nur knapp 80 Personen, die sich in der Fußgängerzone rund 100 Gegendemonstranten gegenübersahen. Alles blieb friedlich.

Eine ganz andere Dimension könnte auf Gießen in knapp drei Wochen zukommen. Wie die Stadt Gießen bestätigt hat, sind für Samstag, 19. Februar, bei der Versammlungsbehörde gleich zwei größere Demonstrationen mit Kundgebungen angemeldet worden. Laut Pressestelle lautet das Motto der einen Versammlung, zu deren Teilnahme »Querdenker« im Messengerdienst Telegram seit Tagen aufrufen, »Gemeinsam stark für unsere Kinder«. Die Veranstalterin habe die Teilnehmerzahl mit 2000 angegeben. Geplant ab dem Nachmittag sei ein »Schweigemarsch« über den Anlagenring mit anschließender Kundgebung auf dem Messeplatz Ringallee.

Zwei Demos an einem Tag in Gießen: Zweiter Jahrestag des Hanau-Anschlags

Aus Anlass des zweiten Jahrestags des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau, bei dem am 19. Februar 2019 elf Menschen ums Leben kamen, hat der Deutsche Gewerkschaftsbund ebenfalls für den Nachmittag, ausgehend vom Berliner Platz, eine Demonstration mit Kundgebung angemeldet. Erwartet werden laut Anmeldung etwa 800 Menschen. Die genauen Abläufe sollen am heutigen Mittwoch in zwei Kooperationsgesprächen zwischen den Veranstaltern und der Versammlungsbehörde erörtert werden.

Eine der treibenden Kräfte hinter der angemeldeten Corona-Demonstration ist eine Frau aus Pohlheim, die bereits in der ersten Phase der Pandemie in der »Querdenker«-Szene aktiv war. Sie und andere Personen veröffentlichten in diversen Chatgruppen Aufrufe an Eltern, Großeltern, Lehrer und Erzieher. Diese sollen Kinder animieren, leidvolle Erfahrungen in der Corona-Pandemie in Form von selbstgestalteten Bild/Text-Collagen zu Papier zu bringen. Mit den Collagen soll am Kundgebungsgelände eine Ausstellung gestaltet werden. Ferner werden die Erwachsenen dazu aufgerufen, »Voice-Nachrichten« von Kindern aufzunehmen, die beim »Schweigemarsch« am 19. Februar abgespielt werden sollen.

Corona-„Spaziergänger“ in Gießen: Kinder werden zu Impfkritik animiert

Einige dieser Aufnahmen, die in Chatgruppen wie »Kindergedanken« versendet wurden, liegen der GAZ vor. In einer Sprachnachricht fragt eine Frau ein Mädchen, was sich das Kind wünschen würde. Das Mädchen, das offenbar eine Grundschule besucht, antwortet: »Dass die Masken aufhören. Ich kann schlecht atmen.« In einer anderen Aufnahme sagt ebenfalls ein Mädchen: »Niemand weiß, was in diesem Corona-Impfstoff drin ist. Da ist nur Mist drin.« Eine der Telegram-Chatgruppen, in denen die Demonstration am 19. Februar beworben wird, nennt sich »Studenten stehen auf« und dient auch als Vernetzungsplattform für die »Spaziergänge« in Gießen. Die Chatgruppe existiert bereits seit Ende Oktober 2020 und hat mittlerweile knapp 400 Mitglieder. Als Administrator (Admin) stellte sich der Gruppe ein Mitarbeiter des Gießener AfD-Bundestagsabgeordneten Uwe Schulz vor.

Antisemitische Ideologie auf Plakat

Die Masse der Posts dreht sich um das Thema Corona, es finden sich aber auch Videos wie »Die Zersetzung Deutschlands«, in denen Stimmung gegen das Recht auf Abtreibung, die Gleichstellung von Homosexuellen, die Inklusion oder den Klimaschutz gemacht wird. Ende letzter Woche wurde ein Plakatmuster »The Great Reset« (Der große Austausch) gepostet. Auf der Abbildung sind neben Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach der jüdischstämmige Unternehmer George Soros, Microsoft-Gründer Bill Gates und Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF), zu sehen. Im Netz wurde dem Chef des WEF von »Querdenkern« ein jüdischer Stammbaum angedichtet.

Die antisemitisch aufgeladene These vom »großen Austausch« ist eine der gängigsten Weltverschwörungstheorien von Rechtsextremisten. In der Flüchtlingskrise war damit ein Bevölkerungsaustausch impliziert, in der Corona-Pandemie erfolge der Austausch durch Massenmanipulation. An der seien in Deutschland Parteien wie SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und Die Linke beteiligt, suggeriert das Plakat.

Das alles steht im Widerspruch zu den Beteuerungen der »Spaziergänger«, parteipolitisch neutral und schon gar nicht rechts zu sein. Am Montagabend indes fungierte als Anmelder und Versammlungsleiter erneut ein Mann aus Butzbach, der in Gießen in den letzten Jahren bei Diskussionsveranstaltungen und an Infoständen durch rassistische und antisemitische Aussagen aufgefallen ist. Einige der »Spaziergänger« sprachen sich dagegen aus, dass der Butzbacher die Versammlungsleitung übernimmt, die Mehrheit war aber dafür.

Stupa verurteilt Aktivitäten von Telegram-Gruppe

Das Studierendenparlament der Justus-Liebig-Universität hat in einer Resolution die Aktivitäten der Telegram-Chatgruppe »Studenten stehen auf« verurteilt. Die Chatgruppe, die Inhalte verbreite, die wissenschaftsfeindlich seien und mit denen die Verbrechen in der Nazizeit verharmlost würden, habe »weder die Legitimation noch ein allgemeines Mandat«, für die Studentenschaft zu sprechen oder sie gar gegenüber der Universität oder anderen Gruppen zu vertreten. Das Stupa erkenne die »Meinungsfreiheit aller« an, auch wenn sie der Mehrheitsmeinung des Stupa widerspreche. Die Gruppe sei eingeladen, in der Studierendensprechstunde des Parlaments einen »inhaltlichen Diskurs« zu führen.

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