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»Gesundheit ist Menschenrecht« - Medinetz Gießen fordert anonymen Behandlungsschein

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Von: Sebastian Schmidt

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Laut Statistischem Bundesamt gab es 2019 rund 61 000 Menschen ohne Krankenversicherung in Deutschland. Deswegen setzen sich Rebecca Maitra (l.) und Sophia von Nasse vom Medinetz Gießen für einen anonymen Behandlungsschein ein. © Red

Das Medinetz Gießen verhilft Menschen ohne Krankenversicherungsschutz zu einer Arztbehandlung. Dabei kommen die ehrenamtlichen Mitarbeiter auch an ihre Grenzen. Jetzt fordern sie den anonymen Behandlungsschein.

Gießen - Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen in Deutschland keine Krankenversicherung haben. Aber alle Betroffenen stehen vor dem gleichen Problem, sobald sie krank werden: Wer behandelt einen jetzt? Seit 2005 haben sich Ehrenamtliche wie Rebecca Maitra und Sophia von Nasse im Verein Medinetz Gießen zusammengeschlossen, um genau dann zu helfen. Der Verein ist mit zahlreichen Ärzten in der Stadt vernetzt und kümmert sich auch um die Bezahlung der Versorgung. Dabei können aber nicht alle medizinisch notwendigen Behandlungen vermittelt werden, vor allem langfristige Therapien sind ein Problem.

Der Verein setzt sich jetzt für den anonymen Behandlungsschein in Hessen ein. Und da viele Betroffene meist doch Anspruch auf eine Krankenversicherung haben, fordern die Ehrenamtlichen auch den Ausbau von Clearing-Stellen, speziellen Beratungsangeboten zur Wiedereingliederung in die medizinische Regelversorgung.

80 Personen ohne Krankenversicherung wenden sich pro Jahr ans Medinetz Gießen

Bis zu 80 Personen ohne Versicherungsschutz wenden sich jedes Jahr ans Medinetz Gießen, weil sie einen Arzt brauchen. Von Nasse sagt: »Die Anfragen sind dabei ganz unterschiedlich: Da sind Frauen mit einer Blasenentzündung bis zu Menschen, die eigentlich eine Dialyse bräuchten.« Die Ehrenamtlichen organisieren den Betroffenen über ihre Kontakte zu Medizinern einen Termin, und der Verein kommt schließlich für die Kosten der Behandlung auf. »Das finanzieren wir aus Spenden«, erklärt von Nasse. Aus Sicht der Ehrenamtlichen hat sich so eine Parallelstruktur zur Krankenversicherung in Deutschland entwickelt, die eine reguläre medizinische Versorgung aber nicht sicherstellen kann.

Medinetz Gießen will anonymen Behandlungsschein für Menschen ohne Krankenkasse

Das soll sich mit dem anonymen Behandlungsschein aber ändern. Menschen, die keinen Versicherungsschutz haben, könnten dann zum Beispiel zu Wohlfahrtsverbänden wie der Caritas gehen und sich den Behandlungsschein ausstellen lassen. Maitra sagt: »Das ganze Angebot soll möglichst niederschwellig sein.« Mit dem ausgestellten Schein können die Betroffenen wie mit einer Versicherungskarte zu einem Arzt gehen, der wiederum könne die Behandlung wie gewohnt abrechnen.

Aber wen betrifft das überhaupt? In Deutschland gilt eigentlich eine Krankenversicherungspflicht. Für alle, die sich hier aufhalten, soll somit ein Anspruch auf medizinische Versorgung gewährleistet werden. Denn immerhin: »Gesundheit ist ein Menschenrecht«, wie Maitra sagt. Trotzdem fallen einige durch das Raster, laut dem Statistischen Bundesamt hatten 2019 rund 61 000 Menschen in Deutschland keinen Versicherungsschutz.

Medinetz Gießen möchte eine Clearing-Stelle pro Landkreis

»Es gibt grob drei Gruppen von Menschen in Deutschland, die keine Krankenversicherung haben«, sagt Maitra. Zum einen seien das Selbstständige, die aus der privaten Versicherung gefallen seien. »Während der Corona-Pandemie ist es öfter vorgekommen, dass Menschen ihre Beiträge nicht zahlen konnten.« Eine zweite Gruppe bestehe aus EU-Bürgern, die in Deutschland wohnen. »Viele aus diesen beiden Gruppen schaffen es mit Hilfe meistens doch wieder in eine Krankenversicherung«, sagt von Nasse. Medinetz fordert deswegen, dass das Land Hessen für diese Personen Beratungsstellen einrichtet. »Wir wollen für den Anfang eine Clearing-Stelle pro Landkreis.« Je nach Bedarf könne das Angebot dann in Zukunft ausgebaut werden. Bei der dritten Gruppe, die keine Krankenversicherung hat und so leicht auch keine bekommen kann, handelt es sich um Menschen, die sich ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhalten.

Um den Betroffenen in Hessen nun mit dem anonymen Behandlungsschein die gleiche medizinische Versorgung wie einem Versicherten zu gewähren, veranschlagt Medinetz rund 3,2 Millionen Euro pro Jahr. Maitra sagt: »Damit würde Deutschland seiner Verpflichtung in internationalen Abkommen zum Menschenrecht auf Gesundheit nachkommen.« Die aktuelle Landesregierung habe die Überprüfung solch eines Fonds bereits im Koalitionsvertrag stehen. Jetzt will der Verein in Gesprächen mit den Landtagsparteien und mit einer Petition den Druck erhöhen.

Petition aus Gießen und Marburg für anonymen Behandlungsschein

Die Medinetze Marburg und Gießen haben eine Petition gestartet, um die Hessische Landesregierung dazu zu bringen, den anonymen Behandlungsschein und Clearing-Stellen einzuführen. Bis jetzt haben über 1700 Menschen die Petition unterschrieben. Den Link findet man auf medinetz-marburg.de unter »Anonymer Behandlungsschein«.

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