Geldauflage statt Verurteilung - Welche Gießener Vereine profitierten von Zahlungen?
Manche Strafverfahren können gegen eine Geldauflage eingestellt werden. Das Geld geht an gemeinnützige Vereine. Doch welche Vereine in Gießen haben davon profitiert?
Gießen - Die Justizbehörden sind überlastet. Um langwierige Prozesse im Bereich der kleinen oder mittleren Kriminalität zu vermeiden, können diese gegen eine Geldauflage eingestellt werden. In einer gemeinsamen Kooperation von CORRECTIV.Lokal und der Gießener Allgemeinen Zeitung zeigt sich, dass zwischen 2007 und 2021 in Gießen vor allem gemeinnützige Vereine und Einrichtungen mit mindestens mehreren Hunderttausend Euro bedacht wurden. Den Empfänger des Geldes kann die Justiz frei wählen - wobei die Entscheidung an Kriterien gebunden ist, wie Vertreter der Gießener Justiz sagen.

Gericht in Gießen: Bei welchen Straftaten ist eine Geldauflage möglich?
In der Strafprozessordnung regelt der Paragraf 153a, wann die Justiz von einer Strafverfolgung absehen kann. Dieser kommt zum Tragen, wenn ein nahender Prozess sehr wahrscheinlich den Nachweis einer geringen Schuld erbringen wird. Oft geht es um Verfahren wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Beleidigung, die gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden. Voraussetzung ist eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem. Diese Geldauflage ist auf mehrfache Weise charmant: Überlastete Staatsanwaltschaften und Gerichte sparen sich Arbeit, der Steuerzahler Geld.
Und der Beschuldigte erspart sich einen öffentlichen, in der Regel für ihn unangenehmen Prozess. Die Schuldfrage wird in solchen Fällen gerichtlich nicht abschließend entschieden. An wen dieses Geld fließt, entscheiden Richter sowie Staatsanwaltschaft - wenn der Beschuldigte zustimmt. In der Regel werden gemeinnützige Vereine oder Institutionen bedacht.
In ihrer Entscheidung sind die Gerichte frei, teilen auf Anfrage Amtsgericht und Landgericht Gießen mit. Über allem stehe die richterliche Unabhängigkeit, sagt Dr. Alexander Schmitt-Kästner, Sprecher des Landgerichts. Diese ist im Grundgesetz verankert und bedeute auch, dass die Richter niemandem Rechenschaft schuldig sind, an wen das Geld geht.
Diese Kriterien gelten bei der Vereinswahl für die Geldauflage im Gericht Gießen
Selbst wenn ein Richter das Geld dem Verein zuweist, bei dem er als Jugendlicher Handball gespielt hat, ist dies kein Verstoß gegen Recht und Gesetz. Anders sieht es aber im Fall eines Richters in Baden-Württemberg aus, der im Januar diesen Jahres verurteilt wurde. Er hatte aus Sicht des Gerichts regelmäßig Geldauflagen an einen Fußballverein gezahlt, in dem sich ein ihm bekannter ehemaliger Polizist engagierte. Im Gegenzug revanchierte sich dieser mit Einladungen zum Essen.
Schmitt-Kästner betont, dass bei den vom Landgericht weitergegebenen Geldauflagen in der Regel ein Bezug zum Thema des Verfahrens hergestellt werde. Dies betätigt der Sprecher des Amtsgerichts, Dr. Dietrich Claus Becker. Er sagt aber auch, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, weil nicht immer ein Bezug möglich sei.
Becker betont, in Hessen gebe es durch einen Erlass zur Verwendung der Geldbeträge transparente Kriterien, wer Begünstigter sein kann. Schmitt-Kästner sagt zudem, dass eine Überprüfung, wer davon profitiert, dann doch in einer gewissen Weise stattfindet. Denn Staatsanwaltschaft und Beschuldigter müssten dem zustimmen.
Die Geldauflage hat oft einen Bezug Tatvorwurf
Staatsanwaltschaften haben klare Richtlinien, wem Geldauflagen zugute kommen. Wie der Gießener Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger erklärt, führe das Oberlandesgericht Frankfurt im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwaltschaft eine gemeinsame Liste mit Einrichtungen, »die als Empfängerstelle von Geldauflagen in Betracht kommen können«. Wie Hauburger sagt, werde »regelmäßig versucht«, Bezug zum Tatvorwurf herzustellen.
Wird ein Kind wegen eines fahrlässigen Verhaltens verletzt, könnte eine Geldzuwendung an den Kinderschutzbund gehen. Kontrolliert werde dies vom Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft; zudem sei oft die Zustimmung des Gerichts nötig. Die von CORRECTIV.Lokal zur Verfügung gestellten Daten zeigen für Gießen, dass in der Regel medizinische oder soziale Einrichtungen von den Geldauflagen zwischen 2007 und 2021 profitiert haben. Auffällig ist: Es sind nicht einige wenige, die Geldzuweisungen erhalten haben.
Umgestaltung des Schwanenteich-Areals 2014 in Gießen dank Geldauflage
Erkennbar ist vielmehr eine breite Streuung der Mittel an viele Begünstigte. So hat der Elternverein für leukämie- und krebskranke Kinder Gießen mindestens 112 610 Euro erhalten. An den Kinderschutzbund gingen mindestens 127 570 Euro. Auch Lebenshilfe (96 000 Euro), Tierschutzverein (61 000 Euro) oder Hospizvereine (81 000 Euro) wurden ebenfalls mit jeweils mehreren zehntausend Euro bedacht. Ebenso Einrichtungen der Opfer- oder Täterhilfe wie Wildwasser (52 000 Euro) oder der Verein für Jugend- und Straffälligenhilfe Gießen (40 000 Euro).
Es finden sich aber auch die Freunde und Förderer der Pfarrei St. Thomas Morus Gießen mit mindestens 21 450 Euro oder Fördervereine von Schulen wie der Käthe-Kollwitz-Schule oder der Herderschule mit jeweils über 2000 Euro. Doch nicht immer werden soziale Einrichtungen oder Vereine mit Bezug zu einem Tatvorwurf mit Geld bedacht. Zwischen 2010 und 2014 erhielt der Förderverein für die 2014 stattgefundene Landesgartenschau mindestens 26 925 Euro. Wer zukünftig an die Umgestaltung des Schwanenteich-Areals denkt, kann sich auch bei der hessischen Justiz bedanken. (Kays Al-Khanak)
Info: Kooperation
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der Gießener Allgemeinen Zeitung mit CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk fördert Recherchen im Lokaljournalismus. In der neuen Spendengerichte-Datenbank von CORRECTIV können Sie rund 50 000 Einrichtungen durchsuchen, die von Gerichten und Staatsanwaltschaften gefördert wurden: correctiv.org/spendengerichte. (Kays Al-Khanak)
Ob der Mann dieser Straftat mit einer Geldauflage davon kommt, ist fraglich: Ein 29 Jahre alter Gießener soll nach einer Auseinandersetzung einen Mann mit dem Messer angegriffen und dessen Freund zu Boden gestoßen haben.