Genuss, Erholung, Arbeit zusammenführen

Für die ehemalige Gaststätte Waldfrieden am Hangelstein gibt es große Pläne. Hinter dem »Gastwerk«, so der Projektname, stehen drei Schwestern, die sich beruflich neu orientieren und ihre Erfahrungen einbringen wollen.
Wann, wenn nicht jetzt?« Das haben sich die drei Schwestern Carina Keller, Vanessa und Daniela Neumann gefragt. Alle drei waren beruflich an einem Punkt angekommen, an dem sie sich eine Veränderung wünschten. Während die Architektin Daniela und die Innenarchitektin Vanessa in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet hatten, bilden sie nun gemeinsam mit Carina, die gelernte Schneiderin und Ergotherapeutin ist, ein Team.
»Wir haben einen starken familiären Zusammenhalt und kennen die Stärken und Schwächen der jeweils anderen«, erklären sie im Gespräch mit dieser Zeitung. So sei es leichter, Ressourcen zu bündeln.
Wie sie ihre Vorhaben miteinander verbinden können, war anfangs nicht ganz klar. »Jede von uns hat aufgeschrieben, was sie künftig gerne machen möchte. Fest stand für alle, dass wir keine Lust haben, den ganzen Tag am Rechner zu sitzen«, erklärt Daniela Neumann, mit 37 Jahren die jüngste der drei Schwestern.
Kaufvertrag ist unterschrieben
»Als beim Brainstorming die Begriffe Bed & Breakfast, Gartencafé und Handwerk immer wieder auftauchten, wussten wir wonach wir zu suchen hatten«, erzählt Carina Keller. Nachdem sie sich mehrere Objekte angeschaut hatten, entsprach die ehemalige Gaststätte Waldfrieden am Hangelstein am ehesten ihren Bedürfnissen. »Das Areal bietet viel Platz und gleichzeitig Nähe zur Natur«, betont Vanessa Neumann.
Nach mehreren Besichtigungen unterschrieben die Schwestern im November vergangenen Jahres den Kaufvertrag für das 4000 Quadratmeter umfassende Gelände, zu dem ein großer Gebäudekomplex gehört. Die neuen Besitzerinnen legen großen Wert auf Nachhaltigkeit, und so war es für sie eine Selbstverständlichkeit, auch das gesamte Mobiliar zu übernehmen. Das freute natürlich auch die ehemaligen Besitzer, Claudia und Ralf Becker, die sechs Jahre lang Ausschau nach passenden Käufern gehalten hatten.
»Wir haben immer noch guten Kontakt zu den Beckers«, sagen die Schwestern. Da sich die Anlage nahe eines Vogelschutzgebietes befindet, hätten diese darum gebeten, sich auch weiterhin um die dort ansässigen Meisen, Spechte, Tauben etc. zu kümmern. »Dass die allerdings so viel Futter brauchen, haben wir nicht gewusst«, lacht Daniela Neumann. »Wer also Vogelfutter übrighat, kann es gerne bei uns vorbeibringen.«
»Gastwerk Waldfrieden« haben die drei Schwestern ihr Projekt genannt, dem ein rund 90 Seiten umfassender Business-Plan zugrunde liegt.
Das »Gastwerk« setzt sich aus den drei Bereichen »Genusswerk«, »Erholungswerk« und »Tatwerk« zusammen und soll Menschen aller Altersklasse und in jeder Lebensphase an-sprechen. Essen und Trinken in der Natur genießen - dafür steht das »Genusswerk«. Platz hierfür bietet der große und bei Einheimischen bekannte Garten des ehemaligen Ausflugslokals. »Wir sind keine ausgebildeten Köche«, betonen die Schwestern. Deshalb sollen zunächst einmal Kuchen und Kleinigkeiten wie Wurst- und Käseplatten angeboten werden. Um die »Bistroküche« auszubauen, suchen sie neben einem Koch bzw. einer Köchin in Teilzeit auch Servicekräfte. Ein Schwerpunkt werde künftig auf saisonalen und regionalen Gerichten liegen.
Das »Erholungswerk« beinhaltet neben elf Zimmern mit insgesamt 20 Betten auch ein Frühstücksangebot. In der Pension soll keines der alten Möbelstücke so bleiben, wie es einmal war. »Wir planen, die Zimmer in einem hellen, freundlichen und vor allem individuellen Stil einzurichten«, betont Vanessa Neumann. »Jedes Hotelzimmer wird einzigartig.« Was an Möbeln fehlt, wollen die Schwestern gebraucht erwerben. »Ziel soll ein flexibles Wohnkonzept sein, bei dem wir restaurierte Möbel auch mal ausstellen, um sie wieder zu verkaufen.«
Beim dritten Bereich, dem »Tatwerk«, handelt es sich schließlich um eine offene Werkstatt, in der unter anderem Seminare angeboten werden sollten. »Jeder kann aber auch seine eigene Arbeit, bei-spielsweise einen renovierungsbedürftigen Stuhl, mitbringen und ihn hier bei uns in aller Ruhe reparieren«, erklärt Carina Keller. Auch den alten Hotelmöbeln werde hier neues Leben eingehaucht.
Eine Idee ist es, die Hotelzimmer gemeinsam mit den Gästen zu gestalten. Auch eine Zusammenarbeit mit heimischen Berufsschulen ist geplant. Unterstützung erhalten sie von Schreiner Torben Meckel, der mit seiner Werkstatt »RawTimber« auf dem Areal am Hangelstein mit einziehen soll.
Selbst werden die Geschwister nicht auf dem Grundstück wohnen, aber Räume als private Rückzugsmöglichkeiten behalten.
Die einzelnen »Werke« seien zwar örtlich getrennt, ließen sich aber gut miteinander kombinieren. Gäste von auswärts seien ebenso willkommen wie Ortsansässige. »Wir möchten einen Ort schaffen, an dem aktive Erholung möglich ist«, so Carina Keller. »Jeder soll bei uns einen Raum finden, um seinen Interessen nachzugehen.
Eine große Herausforderung stellt aktuell die Ölheizung der Gebäude dar. Aufgrund der Lage und Größe der Immobilie wer-den hier die sinnvollsten Maßnahmen abgewogen. »Der Frischwasseranschluss liegt im Wald. Dort ist auch unser Zähler, der leider für uns bislang nicht zugänglich ist«, bedauert Daniela Neumann.
Unterstützt werden die Drei nicht nur von der gesamten Familie. Auch bei der Wirt-schaftsförderung der Stadt Gießen haben sie in Elke Gaub-Kühnl eine kompetente Ansprechpartnerin gefunden. »Auch der Besuch der IHK-Gründungsstammtische hat uns Mut gemacht«, betonen sie. »Wir mussten uns alles neu erarbeiten, haben aber festgestellt, dass man mit Offenheit am weitesten kommt.«
Gartenlokal soll ab Mai öffnen
Gewünscht ist eine Eröffnung des Gartenlokals im Mai. Der Bauantrag auf Nutzungsänderung von Teilbereichen sei bereits eingereicht. »Es wird eine Eröffnung in Teilschritten geben. Am Anfang wird natürlich noch nicht alles so sein, wie wir es haben wollen«, erklärt Carina Keller. Die Feuerprobe hat zumindest die Gastronomie bereits bestanden: Cousin Mathias Krug, dessen in Staufenberg ansässige Organisation »Lift Ukraine« Menschen aus der Ukraine hilft, hat 40 Geflüchtete zum Essen im Waldfrieden empfangen und dort mit ihren Gastfamilien zusammengebracht.
»Es hat Spaß gemacht, die Gäste zu bewirten«, sagen die Schwestern, die dabei auch von ihrer Mutter und der vierten Schwester Bianca Rausch unterstützt wurden. »Unsere Kinder haben zuvor die Räume feierlich geschmückt«, freuen sie sich. Weitere Anfragen lägen bereits vor.