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Gas-Krise: Roth kündigt Verträge

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Von: Christoph Hoffmann

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Die Turbulenzen auf dem Energiemarkt sorgen für weitreichende Veränderungen bei Roth Energie. © Oliver Schepp

Einige Kunden von Roth Energie erhalten in diesen Tagen unschöne Post. Das heimische Unternehmen kündigt Verträge für Gaslieferungen und begründet diesen Schritt mit den Turbulenzen auf dem Energiemarkt. Die Gießener Stadtwerke als Grundversorger können einspringen.

Post von Energieversorgern ist selten schön, besonders nicht in diesen Zeiten. Meist handelt es sich um Rechnungen oder Mitteilungen über Tariferhöhungen. Kunden von Roth Energie erhalten derzeit ganz andere, aber nicht weniger unangenehme Schreiben. Wegen der Entwicklung auf dem Energiemarkt und den damit verbundenen Risiken kündigt das heimische Unternehmen einem Teil der Kunden die Gasverträge auf. »Wir würden diese Kunden sehr gerne behalten«, sagt Kim Dennis Backhaus, der Marketing-Leiter des Unternehmens, »momentan ist das aber leider nicht machbar.«

Durch den Krieg in der Ukraine ist der Energiemarkt aus den Fugen geraten. Zwischenzeitlich vervielfachten sich die Preise, die Schwankungen sind groß. Einige Energieversorger hat das bereits in die Insolvenz getrieben, andere wie Roth Energie kündigten ihren Kunden die Lieferung.

»Die aktuell enormen Verwerfungen an den Energiemärkten machen es schwierig, Preise für die Weiterversorgung seriös und belastbar zu kalkulieren«, teilt Backhaus auf Nachfrage mit und fügt an, dass Konditionen aus der Vergangenheit aktuell nicht mehr darstellbar seien.

Die Großhandelspreise hätten sich im Zuge der Energiekrise vervielfacht. »Zu Spitzenzeiten fünf- bis sechsmal so viel wie ein Jahr zuvor, aktuell immer noch das Dreifache gegenüber dem Vorjahr«, sagt Backhaus. Neben dem allgemein sehr hohen Preisniveau würden enorme Preissprünge, Einschränkungen bei der Beschaffung und eine unsichere politische Lage zu großen Herausforderungen führen.

Gleichzeitig betont Backhaus, dass es sich bei der aktuellen Maßnahme von Roth Energie um ordentliche Kündigungen zum Ende der Vertragslaufzeit handele. »Wir erfüllen unsere vertraglichen Verpflichtungen für jeden einzelnen Kunden vollumfänglich und werden das auch weiterhin tun.« Zudem habe es im Zuge der Kündigungsschreiben Pannen gegeben, da die Bereitstellung der Daten von einem externen Dienstleister fehlerbehaftet gewesen sei. »Daher haben zahlreiche regionale Kunden bedauerlicherweise Kündigungsschreiben erhalten, obwohl eine zukünftige Versorgung seitens Roth bereits vorgesehen und unbedingt gewollt ist.« Diese Bestandskunden würden in den nächsten Wochen »intern intensiv beurteilt« und erhielten noch vor Jahreswechsel neue Angebote. Vor allem die langjährigen regionalen Bezieher will Roth also auch in Zukunft weiterhin mit Gas versorgen.

Im Grunde seien die Kündigungen nichts anderes als das Ausbleiben eines neuen Angebots, sagt Backhaus. »Da sich Verträge am Ende der Mindestlaufzeit beziehungsweise der Preisgarantie automatisch zu gleichen Konditionen verlängern, muss man als Versorger formaljuristisch kündigen. Das ist ein normaler Vorgang.«

Aber ein unangenehmer für das Unternehmen, das will Backhaus nicht beschönigen. Denn wenn nach und nach Bestandskunden gekündigt und keine Neukunden mehr aufgenommen werden - das macht das Unternehmen schon seit einigen Wochen nicht mehr -, schrumpft die Zahl der Gas-Bezieher schnell. Auch wenn dieser Bereich unternehmensweit betrachtet einen überschaubaren Anteil ausmache, sei das ein schmerzhaftes Szenario. »Wir haben in den vergangenen Jahren um neue Kunden gekämpft und uns einen guten Kundenstamm aufgebaut«, betont Backhaus. Das müsse, sollte die Entwicklung so weitergehen, irgendwann mühsam neu aufgebaut werden.

Neue Angebote für heimische Kunden

Die aktuellen Kündigungen betreffen einen Teil der Erdgaskunden, deren Vertragslaufzeit zum Jahresende ausläuft. Wie viele das sind, will Roth Energie nicht mitteilen. Zu Spitzenzeiten versorgte das Unternehmen laut Backhaus über 50 000 Gas- und Stromkunden. Letztere sind von den Kündigungen nicht betroffen.

Wer nun eine Kündigung von Roth erhält und sich nicht aktiv um einen neuen Anbieter kümmert, rutscht automatisch in die Ersatzversorgung der Grundversorger. In Gießen sind das die Stadtwerke. »Somit muss kein ersatzversorgungsberechtigter Kunde eine Unterbrechung seiner Gasversorgung befürchten«, sagt SWG-Pressesprecher Ulli Boos. Haushaltskunden sowie Nichthaushaltskunden mit Standardlastprofil zahlen in dieser dreimonatigen Notversorgung 14,33 Cent pro Arbeitsstunde (netto) sowie 140,34 Euro als Grundpreis pro Jahr (netto). Somit ist die Ersatzversorgung teurer als die Grundversorgung. Das liegt laut Boos daran, dass die Gasmengen für Kunden der Ersatzversorgung kurzfristig am Spotmarkt zum tagesaktuellen Preis eingekauft werden müssen.

Für die Stadtwerke ist die Aufnahme eine Herausforderung. »Wir fangen in der Ersatzversorgung Kunden auf, die sich in der Vergangenheit aktiv gegen die SWG entschieden haben, indem sie sich einen anderen Lieferanten gesucht haben, und nun von ihrem bisherigen Lieferanten nicht mehr versorgt werden.« Die Versorgung dieser Menschen sei schwer plan- und kalkulierbar. Gleichzeitig versichert der Pressesprecher, dass es aus heutiger Sicht »absolut unvorstellbar« sei, dass die Stadtwerke ihren eigenen Kunden Gaslieferverträge kündigt, ohne ihnen ein Nachfolgeangebot zu unterbreiten. Schließlich seien die SWG als Grundversorger gesetzlich dazu verpflichtet, Haushaltskunden mit Energie zu versorgen.

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