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Fürs Gemeinwohl Geld verdienen

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Von: Jonas Wissner

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Als Unternehmer erfolgreich sein und sich für einen guten Zweck einsetzen – geht das zusammen? Carsten Lessmann veranstaltet eine Tagung, die beides verbinden soll. Im Interview verrät er, worauf es ankommt und warum Gießen dafür ein gutes Pflaster ist.

Herr Lessmann, kommende Woche findet an der Justus-Liebig-Universität ein Seminar zum Thema »Soziales Unternehmertum« statt, das Sie mit veranstalten. Was ist der Grundgedanke dieses Konzepts?

Carsten Lessmann: Dazu gehören drei Dinge: Zunächst unternehmerisches Handeln, das heißt ein soziales Unternehmen ist durchaus auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet. Die Gewinne sind aber nicht der Grund für die Unternehmung, sondern dahinter steht der Anspruch, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Drittens geht es um die Frage der Verteilung: In sozialen Unternehmen gehen die Erträge nicht an Gesellschafter, sondern werden verwendet, um das Unternehmen voranzubringen oder Spenden zu generieren.

Unternehmen wollen sich auf dem Markt behaupten und müssen dafür Geld verdienen. Widerspricht das nicht dem Anspruch, gemeinnützig zu sein?

Lessmann: Ich glaube, dass sich das sehr gut vereinen lässt. Nehmen Sie die DKMS, die gemeinnützige Deutsche Knochenmarkspenderdatei. Die retten durch ihr System Leben, sind aber auch unternehmerisch tätig, wirtschaften mit den Krankenkassen. Soziale Unternehmen haben Vorteile bei bestimmten Kundengruppen, die auf die Ausrichtung achten. Zum Beispiel die Unverpackt-Läden, die ganz neue Kundensegmente ansprechen. Das strahlt wiederum auf die Wirtschaft zurück, so reduziert inzwischen auch Rewe Verpackungen. Man sieht solche Effekte nicht sofort. Vor 20 Jahren kamen die ersten Öko-Produkte auf, inzwischen haben das alle im Sortiment. Die Unternehmen kommen unter Zugzwang, weil die Leute nachfragen. Aber das braucht Zeit, mit kurzfristigen Gewinnen wird es da schwierig.

In welchen Branchen sind Sozialunternehmen denn aktiv?

Lessmann: Das ist über alle Branchen hinweg möglich. Im Moment passiert da viel bei Start-ups, aber auch etablierten Firmen. Es gibt einige erfolgreiche Beispiele aus dem Gesundheitsbereich, etwa die »Einhorn-Kondome«, die inzwischen auch profitabel vertrieben werden und bei DM gelistet sind. 30 Prozent der Gewinne gehen in die Aids-Prävention. Oder eine Kugel für Demenzkranke, die unter anderem in verschiedenen Farben leuchtet, Orientierung stiften kann und schon zu Therapiezwecken eingesetzt wird. Dieses Projekt wird auf der Tagung auch vorgestellt.

Es gibt viele Ideen, die Welt zu verbessern. Was macht aus Ihrer Sicht ein Erfolg versprechendes Konzept für ein Sozialunternehmen aus?

Lessmann: Es geht eigentlich immer darum, Geld damit zu verdienen. Ich bin BWLer, daher kann ich das verstehen: Die Zahlungsbereitschaft am Markt muss gegeben sein, sonst ist es vielleicht eine gute Idee, aber nicht mehr. Wenn man für ein Geschäftsmodell bezahlt wird, dann kann ich nachhaltig sein und investieren. Das Gründerteam muss stimmen, die Kapitalgeber müssen überzeugt sein. Man muss sich langfristig damit auseinandersetzen und Durchhaltevermögen haben. Es gibt viele tolle Ideen, die nur noch nicht umgesetzt sind.

Kürzlich hat die UNESCO das Hochschul-programm der »Hilfswerft« in das Weltaktionsprogramm »Bildung für nachhaltige Entwicklung« aufgenommen. Welche Erfahrungen haben Sie mit Tagungen wie der in Gießen gemacht?

Lessmann: In den letzten zweieinhalb Jahren waren wir an zwei Dutzend Hochschulen in ganz Deutschland zu Gast, Studierende haben unter unserer Anleitung Ideen entwickelt. Das ist natürlich eine Laborsituation, man kann nicht erwarten, dass am Ende ein fertiges Geschäftsmodell steht. Aber wir öffnen den Leuten die Augen, dass es Perspektiven gibt.

Mit Ihrem Unternehmen »Hilfswerft« wollen Sie soziales Unternehmertum stärken. Wie kamen Sie auf die Idee?

Lessmann: Wir waren zu dritt und haben um 2006 unser BWL-Studium beendet. Die Jobs danach machten schon Spaß, wir haben auch nicht schlecht verdient, aber irgendwie fehlte uns der Sinn. 2006 hat Muhammad Yunus auch den Friedensnobelpreis dafür bekommen, dass er mit Kleinstkrediten vielen Leuten zur Selbstständigkeit verholfen, sie aus der Armut geholt hat. Da dachten wir: Wieso haben wir im BWL-Studium nie etwas davon gehört? Der Profitgedanke ist in diesem Fach nach wie vor sehr stark verankert, um gesellschaftliche Veränderung geht es kaum. Das hat uns gewurmt. Wir wollten den sozialen Gedanken verbreiten und haben schnell gemerkt, dass es da an den Unis durchaus Bedarf gibt, weil es in den Lehrplänen nicht vorkommt.

Gießen ist eine junge Stadt mit vielen Studenten, die frische Ideen mitbringen. Inwieweit eignen sich die Rahmenbedingungen als Standort für Sozialunternehmen?

Lessmann: Ich würde schon sagen, dass Gießen ein gutes Pflaster ist, auch wenn ich die Stadt nicht allzu gut kenne. In Metropolen gibt es ganz andere Miet- und Lebenshaltungskosten. Gerade in den ersten Monaten sind Gründer aber darauf bedacht, ihre Kosten möglichst gering zu halten. Da hat Gießen als nicht ganz so teure Stadt gute Chancen, zumal es auch noch nah an Frankfurt liegt.

Wie können Kunden und Bürger feststellen, ob ein Unternehmen sich nur einen sozialen Anstrich geben möchte oder tatsächlich etwas für die Allgemeinheit tut?

Lessmann: Der grüne oder soziale Anstrich ist tatsächlich ein Thema. Ich fürchte, da werden Konsumenten nicht umhin kommen, selbst zu recherchieren.

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